Pulsgesteuertes Training – Vor- und Nachteile
In Zeiten von Möglichkeiten der Watt-, Laktat- und Glukosemessung erscheint das Training nach Puls fast schon „oldschool“.
Ich selbst habe jahrelang nur im Höhentraining den Brustgurt hervorgekramt, da ich mit jedem der ausprobierten Gurte Scheuer- und Druckstellen schon beim ersten Mal Tragen bekommen habe.
Nachdem ich im vergangenen „Seuchenjahr“ – wie es für die Meisten leider eines war … - wieder auf die Vorteile der Pulsmessung zurückgreifen wollte, bin ich schließlich bei der Oberarmmessung gelandet. Diese beruht genauso wie die Handgelenksmessung auf einem optischen Messprinzip, ist im Gegensatz zum in der Uhr integrierten Sensor aber wirklich zuverlässig (weil der Sensor ohne viel Zugspannung trotzdem komplett lichtdicht anliegt, anders als am Handgelenk). Bei mir gab es noch gar keine Aussetzer, man muss vorm Training nichts anfeuchten, man braucht keinen Sport-BH, der alles in Position hält und kein enger Gurt schränkt die Atmung ein.
Einziger Nachteil aus meiner Sicht ist ein leichter zeitlicher Offset im Vergleich zur Brustgurtmessung. Nachdem der Puls der momentanen Trainingsintensität auch etwas „hinterherläuft“, addieren sich diese zwei Verzögerungen und man muss sich etwas einfuchsen, um rechtzeitig das Tempo anzupassen.
Aber warum überhaupt auf den Parameter „Herzfrequenz“ achten?
Wenn wir trainieren, möchten wir den gerade gewünschten Trainingsbereich recht genau treffen, um weder Zeit mit unterschwelligen Reizen zu vergeuden, noch zuviel Stress zu generieren, der uns die Basis im Ausdauertraining (die „Grundlage“) zusammenhaut und zusätzlich die nachfolgenden intensiven Einheiten erschweren bis verunmöglichen.
Beim Laufen unter idealen Bedingungen gibt es eine starke Korrelation zwischen Pace und Herzfrequenz, am Rad sind es Watt und Herzfrequenz. Eine Verbesserung dieses Verhältnisses (Puls ist bei gleichem Tempo/Leistung geringer) kann ein Indikator für Trainingsfortschritt sein. Umgekehrt aber können beispielsweise hohe Temperaturen den Puls nach oben treiben und wir müssen etwas nachlassen, um noch im gewünschten Trainingsbereich zu bleiben und uns nicht zu überlasten.
Was sind für mich die wichtigsten Vorteile, die Herzfrequenz in die Trainingssteuerung mit aufzunehmen?
• Die Herzfrequenzbereiche sind unabhängig von Umweltfaktoren und momentaner Leistungsfähigkeit relativ stabil (zu den Abweichungen komme ich später noch)
• Günstige Messtechnik, in allen Sportarten nutzbar
Wie komme ich zu meinen Herzfrequenzbereichen?
• Der Stufentest mit Laktatmessung (oft noch ohne entsprechendes Ernährungsprotokoll davor) wo dann noch irgendwelche Modelle drübergelegt werden, bei welchen selbst langjährige Marathonläufer auf einmal „eine schlechte Grundlagenausdauer“ haben sehe ich als nicht zielführend an. Will man es genau wissen, ist eine korrekt gemachte Spirometrie nötig.
• Ich selbst spare mir diese aber, denn so banal es klingt, aber Trainingsbereiche anhand von Maximal- und Wettkampfpuls (also Ausbelastung über kürzere Zeiträume) und die Beobachtung des Pulsverhaltens in unterschiedlichen Intensitätsbereichen im Training hat in meinen Augen immer noch die größte Relevanz. Nur bei unerklärlichen Auffälligkeiten kann man über weitere Tests genauer hinschauen - wo nötig.
• Begleitend ist die subjektive Belastungsstufe (0-10, wobei "10" einem direkten Duell im Finale eines Wettkampfes entspricht) immer miteinzubeziehen. Hier wird beispielsweise deutlich, dass in einer Alternativsportart, in der man weniger gut austrainiert ist und eventuell zusätzlich noch weniger Muskelgruppen als in der Hauptsportart verwendet werden (typisch: Radfahren als Alternativsport für Läufer) die Pulsbereiche niedriger anzusetzen sind (meist 10-15 Schläge/min). Lockeres Training sollte sich nicht anstrenger als "5" anfühlen (Ausnahme: Sehr lange Einheiten mit entsprechend starker Ermüdung).
• Für mich nehme ich als Obergrenze für das Grundlagentraining 75% vom Maximalpuls. Das kann beispielsweise für einen Mittelstreckenläufer etwas niedriger sein und für einen Marathonläufer in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung etwas höher. Einflüsse wie Muskelfaserverteilung, Trainingsalter, Zielsetzung spielen hier unter anderem hinein. Auch beim polarisierten Training (weitere Infos HIER) in der wettkampffernen Zeit achte ich auf eher niedrigere Werte.
Regenerative Einheiten sollten sehr kurz und noch gemütlicher sein, wobei ich Laufen als regenerative Einheit aufgrund der Belastung des Bewegungsapparates als eher ungeeignet empfinde.
• Besonders wichtig ist, das erste Aufwärmen noch lockerer zu machen. Aufgrund des zeitlichen Offsets der Herzfrequenz und der Tatsache, dass die Körperkerntemperatur noch nicht angehoben ist, muss man dem Stoffwechsel und dem Bewegungsapparat die Möglichkeit geben, ausreichend und ruhig an die Belastung herangeführt zu werden. Je älter man wird, desto wichtiger wird dieser Punkt. Viele Trainings scheitern schon am korrekten Aufwärmen.
• Andere Trainingsbereiche überwache ich über den Pulsmesser, steuere sie aber üblicherweise nicht danach. Hier gibt es aber viele unterschiedliche – funktionierende – Trainingsansätze. Klassische Tempo-/Schwellentrainings werden meist bei 85-90% des Maximalpulses absolviert, das entspricht bei mir ungefähr dem HM-Tempo. Will ich diesen Trainingsbereich im Hügeligen, bei sonstigen widrigen Bedingungen oder im Höhentraining treffen, so leistet auch hier der Pulsmesser gute Dienste.
Klassische VO2Max-Intervalle hingegen lassen sich nicht gut über den Puls steuern, weil die Dauer grenzwertig kurz ist.
Welche Erkenntnisse kann ich über die Pulsmessung gewinnen?
• Man sieht hier sehr schön, ob man wirklich in unterschiedlichen Trainingsbereichen unterwegs ist oder eher einen „Einheitsbrei“ trainiert, der beim erfahrenen Sportler keinen Leistungszuwachs mehr hervorrufen wird.
• Die Kombination aus Pulswerten mit Pace/Watt und subjektivem Belastungsgefühl zeigt schön, ob die Form tendenziell ansteigend ist oder eher nicht.
• Auch Probleme lassen sich oft frühzeitig erkennen. Erkrankungen wie auch starke Überlastung im Training zeigen sich fast immer in einem ungewöhnlichen Pulsverhalten. Bei vielen Sportlern ist der Ruhepuls ein ebenso zuverlässiger Parameter. Fraglich hingegen ist der Nutzen von HRV-Messungen (Herzfrequenzvariabilität – ausführlicher Artikel dazu HIER von mir) mit Brustgurt oder gar am Handgelenk, da für Abtastraten mit 500Hz für eine Pulsmessung, aber nicht für eine HRV-Messung tauglich sind.
• Man kann Intervallprogramme hinsichtlich ihres Nutzens reflektieren und gegebenenfalls bei zukünftigen Trainings die Pausendauer und – aktivität anpassen (will ich vermehrt an der Grundschnelligkeit arbeiten, werde ich auf ausreichend erholsame Pausen setzen, will ich an der Tempohärte über eine längere Belastungsdauer arbeiten, werde ich die Pause knapper bemessen und in Kauf nehmen, dass der Puls zwischendurch nicht mehr auf ein ganz entspanntes Niveau absinkt)
• Auch die Erholungszeit ist ein guter Parameter – kehrt nach (vergleichbar) hoher Belastung der Puls schneller auf ein entspanntes Niveau zurück, hat der Körper die Belastung besser verarbeitet, die Form hat sich verbessert. Eine schlechtere Erholung kann ein erstes Anzeichen eines Infekts sein.
• Die Vergleichbarkeit von Trainings im Flachen mit Hügeltrainings ist besser gegeben – während Radfahrer mit Wattmessung hier ein sehr hilfreiches Tool zur Verfügung haben, bleibt Läufern nur der Puls. Beim lockeren Hügeltraining achte ich darauf, auch bergauf höchstens geringfügig über meinen gewohnten Grundlagenbereich im Flachen zu kommen, bergab ist es je nach Terrain dann kardiovaskulär ein eher unterschwelliger Reiz.
• Auch ein sehr aussagekräftiger Punkt ist der Pulsdrift bei längerer Belastungsdauer in derselben Intensität. Steigt beispielsweise bei einem mittellangen Lauf der Puls trotz gleicher Pace in der zweiten Trainingshälfte noch stärker an, so kann man davon ausgehen, dass dies in einer Marathonvorbereitung problematisch werden wird, weil die Ausdauerleistung noch nicht ausreichend ist. Oft ist dies aber auch schlichtweg ein Hinweis auf mangelnde Hydrierung und Versorgung mit Kohlenhydraten. Hier muss man dann auf Spurensuche gehen und ausprobieren, ob sich das Thema relativ rasch über bessere Versorgung beim Training oder nur langfristig über die Erarbeitung einer guten Grundlagenbasis erarbeiten lässt. In diesem Fall würde ich dann die Trainingsintensität von Beginn weg so wählen, dass sie dem realistisch erreichbaren Mittel über die gesamte Einheit entspricht. Laufe ich beispielsweise im Grundlagenpulsbereich in der ersten Dreiviertelstunde im Durchschnitt mit 6min/km und muss ich in der zweiten Dreiviertelstunde auf 6:30min/km drosseln, um die Pulsgrenze noch einhalten zu können, würde ich beim nächsten Lauf dieser Art probieren, eher um die 6:15min/km loszulaufen, in der Hoffnung, dann im Durchschnitt über die gesamte Trainingseinheit im Grundlagenpulsbereich geblieben zu sein, ohne das Tempo abfallen lassen zu müssen. Den Körper darauf regelrecht zu konditionieren, im Verlauf des Trainings immer langsamer zu werden, ist nämlich suboptimal. Ausnahmen bestehen natürlich bei entsprechenden Umweltbedingungen – mehr Höhenmeter, schwierigerer Untergrund oder Gegenwind in der zweiten Trainingshälfte.
• Auffällige Pulswerte treten tatsächlich häufig als Folge suboptimaler Ernährungsstrategien auf und können daher wertvolle Hinweise geben. Das kann ein zu üppiges Essen direkt vor dem Lauftraining sein, sehr oft ist es aber schlichtweg Mangelversorgung während und oft auch schon vor dem Training. Zu diesem sehr umfangreichen Thema habe ich HIER noch geschrieben. Dieser zusätzliche Stress kann je nach Sportlertyp dazu führen, dass der Puls „eskaliert“, oder aber auch untypisch träge ist und gar nicht nach oben geht, obwohl es sich subjektiv anstrengend anfühlt.
• Manchmal hat man sich auch einfach schlichtweg (viel) zu warm angezogen und schafft dadurch ungünstigere, aber vermeidbare „Umweltbedingungen“.
• Auch Mangelzustände (besonders Eisen!) kündigen sich gern in einem verschlechteren Puls-zu-Pace-Verhältnis an
(weiterführende Infos HIER).
Muss ich immer den Puls messen?
• Nein. Ich habe die letzten – durchaus erfolgreichen – Jahre über so gut wie nie mit Pulsmesser trainiert. Das heißt aber nicht, dass ich die Pulsbereiche ignoriert habe!
Bei sehr erfahrenen Sportlern mit gutem Körpergefühl reicht es eben, immer wieder mal zwischendurch durch eine Messung die eigene Wahrnehmung zu „eichen“.
Besonders wichtig ist das im Höhentraining, da habe selbst ich mich zu Beginn verschätzt.
• Der Wiedereinstieg nach Krankheiten ist eine ebenso kritische Zeit – hier kann man sehr viel kaputtmachen … die Beine sind oft frisch, aber Herz-Kreislauf ist noch nicht voll erholt und schon ist man im Tempobereich unterwegs, obwohl man maximal (!) Grundlage trainieren sollte, um nicht sofort für den nächsten Infekt anfällig zu sein, einen Rückfall zu provozieren oder zumindest die wichtige Grundlagenbasis noch weiter anzuknabbern.
• Überhaupt ist die Pulsbegrenzung ein sehr nützliches Tool für alle Sportler, die dazu neigen, zu intensiv, bzw. zu wenig differenziert zu trainieren (und das kommt sehr häufig vor!). Aber es gibt auch den umgekehrten Fall – dass man über Jahre in der Leistungsfähigkeit stagniert, weil man einfach zu unterschwellig trainiert. Hat man diese Probleme abgelegt, kann man den Einsatz der Pulsmessung auch wieder reduzieren.
Was sind die Nachteile von pulsgesteuertem Training?
• Nachteilig sehe ich bei der Pulsmessung vor allem, dass es sehr verwirrende Messfehler geben kann. Weniger erfahrene Sportler erkennen oft nicht, wenn die Werte unrealistisch sind und trainieren unter Umständen in völlig falschen Trainingsbereichen. Gerade bei der Handgelenksmessung kann es aber auch sein, dass die Werte nur um 5-15 Schläge und somit weniger auffällig danebenliegen und das fällt dann auch einem erfahrenen Sportler eher nicht auf – und schon verschiebt man die Trainingsbereiche in eine ganz falsche Richtung.
• Auch problematisch ist, wenn man seine Bereiche gar nicht kennt oder sie durch einen fragwürdigen Leistungstest ermittelt wurden. Hier kann es dann genauso dazu kommen, dass man die Bereiche entweder nicht einhalten kann oder es überhaupt nicht den gewünschten Trainingseffekt gibt. Noch ungenauer wird es, wenn man sich an Standardformeln richtet, die nur das Alter miteinbeziehen oder man sich einfach an den Pulswerten von Trainingskollegen orientiert. Die individuellen Bereiche sind nämlich kein Gradmesser für Fitness. Genauso, wie unterschiedliche Sportler unterschiedlich lang bei ein und demselben Laktatwert aushalten, so ist es auch beim Puls. Der eine rennt Marathonbestzeit mit 170 Puls, der andere schafft nichtmal im Zielsprint eines 5km-Laufes die 160 zu überschreiten.
• Auch Medikamente (zb auch Asthmasprays) können die Bereiche verzerren, hier muss man individuell testen und auch andere Parameter mit einfließen lassen, um ein rundes Bild zu erhalten.
• Beim (Lauf-)Techniktraining kann einen der Pulsmesser auf eine falsche Fährte führen. Gewohnte Bewegungsabläufe sind erstmal ökonomischer als neu Erlernte und gehen daher oft mit einem besseren Puls-zu-Pace-Verhältnis einher. Versucht man beispielsweise die Schrittfrequenz zu verbessern, müssen viele zunächst das Tempo leicht drosseln, um nicht zu intensiv unterwegs zu sein. Hier nur auf den Puls zu achten, würde langfristige Verbesserungen verhindern (weitere Infos dazu HIER).