Ernährung generell und im Speziellen für Athleten

 
Teil I – Falscheinschätzung von Bedarf vs. Zufuhr
 


Quelle: https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/29/2/article-p152.xml

In den letzten Wochen habe ich mich aus mehreren Gründen etwas tiefer in die Thematik eingelesen. Ich muss gestehen, dass ich selbst nie so wirklich den Fokus auf den Ernährungsbereich gelegt habe, weil es bei mir intuitiv in den letzten 10 Jahren mit Duathlonfokus sehr gut „von selbst“ funktioniert hat.

Der letzte Wettkampfblock war jetzt leider etwas durchwachsen bei mir und einen Anteil daran hatte sicher auch die Tatsache, dass ich ein wenig von meiner intuitiven Ernährung weggegangen bin und mir zu sehr die Anmerkungen zum Cholesterin letzten Herbst bei der jährlichen sportmedizinischen Untersuchung zu Herzen genommen habe, vor allem aber aus ethischen und ökologischen Gedanken den Konsum tierischer Produkte weiter eingeschränkt habe. Das hat für mich aus dem einfachen Grund, dass ich überhaupt kein „Molekülzähler“ bin (weder Kalorien, noch Makro-, noch Mikronährstoffe) überhaupt nicht funktioniert und zu einem ordentlichen Lysin-Mangel geführt (dazu auch in späteren Artikeln mehr)
Alle paar Jahre tracke ich mal interessehalber meine Ernährungsgewohnheiten (fddb.info) um zu sehen, ob das „eh passt“. Das würde ich generell empfehlen, hie und da zu machen, um einfach einmal zu wissen, wo man steht und wo man vielleicht ohne große Einschränkungen noch etwas für sich an Lebensqualität herausholen kann.
Ich bin da leider diesmal in einen ziemlichen generellen und insbesondere spezifischen Eiweißmangel hineingerutscht, auch noch verstärkt über eingeschränkte Verfügbarkeit auf Reisen. Mit den aktuellen 1,5-2g Eiweiß/Tag/kg Körpergewicht geht es mir weitaus besser – ich kombiniere dabei eiweißreiche Nahrungsmittel mit Pulver aus Insekten (bei Interesse bei Bestellung den Code SANDRINAILLES angeben und es gibt -10% Rabatt) und Bio-Molkenprotein als "Aufbesserung" von Getränken direkt nach dem Training und beim Backen.

Neben dieser eigenen Erfahrung kommt das Thema RED-S (Mangelernährung bei Sportlern) und WDEB (Energieverfügbarkeit innerhalb des Tages) aktuell vermehrt in den Medien und auch in Forschungsarbeiten vor (was absolut positiv ist!).
Generell fallen mir mehrere wesentliche Punkte dabei auf:
von Seiten der WHO geistern ja immer wieder die 2000kcal/Tag als „normale“ Kalorienmenge herum, vergleicht man das mit den Daten der nötigen Energiezufuhr, so ist das lächerlich wenig! Auch beliebige Kalorienrechner im Netz kommen teils regelrecht auf Fantasiewerte, genauso wie viele Sportuhren.
Den Erhaltungsbedarf ohne Aktivität (Arbeit, Freizeit, Training!) kann man mit rund 45kcal/Tag/FFM (FFM = fettfreie Masse in kg) für Frauen und 40kcal/Tag/FFM für Männer annehmen (siehe Tabelle ganz oben). Bei mir sind das knapp mehr als 2000kcal – nur für den Erhalt eines normalen Stoffwechsels, inklusive Reproduktionsfähigkeit, Immunsystem, Kreislauf, …
Kommen dann Alltagsaktivitäten wie Arbeit und zusätzlich noch Training obendrauf, bin ich deutlich über 3000kcal/Tag.
egal, ob man sich die Datenlage aus Studien oder Sportler im Umfeld ansieht, die meisten essen eher (teils viel!) zu wenig, denn zuviel (manche dann wegen der Mangelernährung auch temporär zuviel, Heißhungeranfälle an einzelnen Tagen, die dann gefolgt von weiterer Unterversorgung sind)
Man erkennt das aber oft überhaupt nicht am Aussehen – unser Körper ist evolutionär bedingt großartig im Kompensieren. Es werden unterschiedliche Funktionen zurückgefahren, weil der Körper immer bestrebt ist, sein Gewicht zu halten. So können Immunsystem, Reproduktion (Zyklus) oder Konzentration leiden. In jedem Fall ist aber die Regeneration (=Neuaufbau von Zellmaterial!) verlangsamt, der Trainingseffekt reduziert bis aufgehoben. Das Ganze kann bis zum völligen Leistungseinbruch führen, "nur" weil der Treibstoff fehlt (eigentlich ganz logisch, wenn man darüber nachdenkt).

Die Grundhaltung gegenüber Kalorien ist in den letzten Jahrzehnten bedingt durch eine teilweise Übervorsorgung (die natürlich auch problematisch ist) eine sehr Negative geworden. Man sieht häufig Produkte, die mit „kalorienarm“ beworben werden, allein das vermittelt einen völlig falschen Zugang zu einer eigentlich wertvollen Ressource. Die Dosis macht das Gift, aber primär kann unser Körper ohne Nährstoffe schlichtweg nicht überleben.
Ein (temporärer) Mangel führt zu erhöhter Cortisolausschüttung, das bedeutet, der Körper hat (zusätzlichen) Stress. Gerade bei jenen, die das Training neben Beruf und evtl. Familie unterbringen müssen, fährt dann das vegetative Nervensystem kaum mehr herunter. Auf Dauer führt ein hoher Cortisolspiegel unter anderem zu vermehrter Fetteinlagerung und allgemeiner Erschöpfung. Besonders stark ausgeprägt ist dies beim Nüchterntraining (Sport vor dem Frühstück oder am Abend nach langen Essenspausen!) und während es für männliche Profis, die sich zwischen den Trainings auf der Couch ausruhen können, noch eher tolerabel sein kann, so ist dies für Frauen besonders kritisch und führt oft zu Störungen des sensiblen hormonellen Gleichgewichts.
Auch die Schilddrüse (ebenso an der Regulation von Stoffwechsel und Gewicht beteiligt) leidet in ihrer Funktion oft bei dauerhaft (zu) hohen Cortisolspiegeln, besonders in Zusammenhang mit niedrigem Körperfettanteil versucht so der Körper dann auch, den Grundumsatz weiter zu senken.
Intervallfasten schlägt in eine ähnliche Kerbe – der Körper lernt, damit umzugehen und es mag auch für den einen oder anderen praktisch umzusetzen sein, aber auf hormoneller Ebene gibt es einfach Kollateralschäden, die dann langfristig meistens zum Jojo-Effekt führen.

Die Angst, ohne Nüchterntrainings einen schlechten Fettstoffwechsel zu haben, kann man getrost bleiben lassen. Man hat selbst bei guter Energieversorgung dennoch ein Kaloriendefizit beim Training und über die Monate und Jahre mit entsprechend vielseitigem Training entwickelt sich automatisch eine gut trainierte Energiebereitstellung. Komplett gefüllt und damit ausreichend für die Belastung sind die Glykogenspeicher ja im Alltag ohnehin selten. Man möchte ja auch, dass der Körper im Bereich höherer Belastung gut funktioniert und nicht permanent im „Überlebensmodus“ verharrt. Eine Zelle, die selten Zucker beim Sport verstoffwechseln darf, kann dies auch nach und nach schlecht(er) - man verliert an Flexibilität und führt man dann Kohlenhydrate zu, kann der Körper damit nicht viel mehr anfangen, als sie in Fett umzuwandeln und einzulagern - oder im blödesten Fall beim Wettkampf durch Erbrechen oder Durchfall gleich wieder loszuwerden.

Wenn man sich nicht ganz von dem Gedanken des spezifischen Fettstoffwechseltrainings (bei manchen Einheiten!) verabschieden kann, wäre noch eine Überlegung, für diese Trainings davor und währenddessen auf schnell verfügbare Kohlenhydrate zu verzichten und über fett- und proteinlastige Ernährung die Energie zu beziehen.
Ich selbst unterscheide bei der Verpflegung im Training nur zwischen lockeren Einheiten mit etwas gehaltvollerem Frühstück und Riegeln währenddessen, und Intensitätstrainings mit manchmal (zeitlich bedingt) leichter verdaulichem Frühstück und schnell verfügbarer Energie über Isogetränke (100-200kcal im Training, bei schwereren Athleten und Einheiten >3h sollte es eher Richtung 300-400kcal/h gehen).
Für weibliche Sportler ist es auch wichtig, sich bewusst zu sein, dass die Insulinsensitivität mit dem Zyklus schwankt. So kann die gewohnte Ernährungsmenge bei einem intensiveren Training etwa unmittelbar vor der Menstruation zu wenig sein und man kann die Leistung aufgrund von Energiemangel nicht halten (deshalb ist es bei Blutzuckermessungen durch aufgeklebte Sensoren auch wichtig, mindestens über einen kompletten Zyklus Erfahrungswerte zu sammeln, die man dann extrapolieren kann. HIER habe ich noch mehr über geschlechterspezifisches Training geschrieben.)
Wenn jetzt das Argument im Hinterkopf auftaucht, dass ja dieser und jener (durchaus sehr erfolgreiche) Athlet Nüchterntraining propagiert, dem sei nochmal in Erinnerung gerufen, dass nicht nur laut Studienlage (später mehr dazu) die Mehrzahl der Ausdauerathleten kalorisch unterversorgt bis hin zu von Essstörungen betroffen ist, sondern dass sich das definitiv auch mit meinen Erfahrungen in meinem Umfeld deckt. Diese Sportler sind nicht deswegen, sondern trotzdem (!) schnell - Dank hervorragender Genetik und vieler anderer Punkte, die richtig gemacht werden.

In dem Zusammenhang möchte ich auch noch auf das Thema LowCarb eingehen. Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass manche damit besser zurechtkommen als andere. Aber auch die Umsetzung ist höchst individuell – wie viele Kohlenhydrate sind erlaubt und mache ich hochintensive Trainings dann doch unter Zuckerzufuhr, um nochmal das Maximum herauszukitzeln? Und was/wie gesund esse ich anstatt der Kohlenhydrate? Generell kann man sagen, je extremer eine (Mangel-)Ernährung, desto unwahrscheinlicher wird es, seinem Körper damit Gutes zu tun und im Sport gute Leistungen bringen zu können.
Hat man lange auf Kohlenhydrate verzichtet, so verliert man (zumindest temporär) die Fähigkeit, diese zu verstoffwechseln – kehrt man wieder zu einer vielfältigeren Ernährung zurück, können Probleme mit dem Blutzuckerspiegel entstehen. Radikale Umstellungen sind also immer heikel.
Mein Trainingsprogramm würde ich ohne adäquate Mengen an Kohlenhydraten jedenfalls sicher nicht umsetzen können. Optimale Versorgung für optimale Leistung wäre mein Fokus.

Wer es bis hierher mit dem Lesen geschafft hat, den beschäftigt vielleicht erst recht der Elefant im Raum: Wir Sportler wollen schlank, vielleicht sogar „dünn“ sein. Ausdauersport und hier insbesondere das Laufen ist einfach gewichtsbetont. Wir dürfen aber nie vergessen, dass die maximale Leistungsfähigkeit nur (!) dann gegeben ist, wenn die Regenerationsmechanismen noch vollständig funktionieren. Das individuelle Minimum an Körperfett mag genetisch mitbestimmt sein, allerdings tut sich ein leichter Körper immer noch weitaus leichter, wenn die Energieversorgung top ist und eben keine Treibstoffknappheit herrscht, die zusätzlich stresst, den Körper zur Verringerung des Grundumsatzes veranlasst und damit das Gewicht langfristig oft erst recht (auf ungesunde Art und Weise) nach oben wandern lässt.

Der absolute Fokus sollte (weit) weg von optischen Kriterien und der Zahl auf der Waage sein - und auf der Leistungsfähigkeit liegen. Das kann beim Radsportler mit Fokus Bergzeitfahren schon mal W/kg sein, auch beim Läufer macht sich wenig Gewicht bezahlt, allerdings darf der Gradmesser nur sein, wie konstant und gesund kann ich langfristig hochintensive Wettkämpfe und Intervalltrainings absolvieren, ohne mit der Leistung einzubrechen – anstatt sich darüber zu freuen, mit etwas weniger Gewicht vielleicht bei Grundlagenläufen ein paar Sekunden am KM flotter unterwegs zu sein, meine Qualitätseinheiten aber nicht mehr zu schaffen oder noch schlimmer – ständig krank, verletzt und mental angeschlagen zu sein.

Ich hab leider schon viele Talente an diesem Thema scheitern sehen und es ist absolut wichtig, immer wieder aufs Neue anzusprechen, wie essentiell eine adäquate Versorgung ist und wie zerstörerisch es ist, wenn sie langfristig nicht gewährleistet ist!
Alle Trainer sollten bei diesem Thema mehr als wachsam bleiben und versuchen, schon erste Anzeichen zu erkennen und gegenzusteuern (so schwierig das im Einzelfall auch sein mag).

Weiterführend zu RED-S (Mangelernährung bei Sportlern, Kalorienbedarf):
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/29/2/article-p152.xml
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/28/4/article-p350.xml
Weiterführend zu WDEB (Energieverfügbarkeit innerhalb des Tages):
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/28/4/article-p419.xml

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