„Offseason“ – Nutzen, Inhalte, Planung notwendig?

Das Grundgerüst der Jahresperiodisierung (=Planung der Trainingsschwerpunkte über die gesamte Saison) sind natürlich die Wettkampfhöhepunkte. Man überlegt sich, wann man in Höchstform sein möchte und welche disziplinspezifischen Fähigkeiten hier am Besten ausgeprägt sein müssen. Nachdem man diese Leistungsfähigkeit nicht dauerhaft, sondern im besten Falle mal über ein paar Wochen halten kann, ergeben sich logischerweise auch eine oder mehrere Phasen, in denen man bewusst ein relatives Leistungstief anstrebt. Vor allem auch aus psychologischen Gründen, um mental wirklich frisch für die nächste Saison zu sein, bietet es sich an, einmal (oder sogar mehrmals im Jahr, dann etwas kürzer) ein echtes Entlastungsmonat (=“Offseason“) einzuplanen. Dieses richtet sich zeitlich in erster Linie nach den Wettkampfhöhepunkten, aber ich beachte dabei auch gerne das zu erwartbare Wetter. Wenn bei uns in Mitteleuropa die Tage recht kurz und die Temperaturen recht grauslich werden, fällt besonders das Radtraining am Schwersten. In den meisten Jahren hat sich für mich der November als Entlastungsmonat angeboten.
Hier trainiere ich weniger Umfang, vor allem wenig am Rad und gestalte das Training auch flexibler und wetterabhängig.

Flexibel heißt in dem Fall aber nicht „planlos“. Ich würde sogar meinen, dass eine (Grob-)Planung in der „Offseason“ mindestens so wichtig wie in der unmittelbaren Vorbereitungszeit ist – stellt sie doch auch ein wichtiges Element der Basis dar.
Für die psychische und physische Erholung ist es sehr wichtig, in dieser Zeit nicht zuviel zu machen. Besonders in einseitigeren Ausdauerdisziplinen bietet sich Alternativsport sehr an – hier ist es nur wichtig, dadurch kein zusätzliches Verletzungsrisiko zu provozieren (z.B. sollte ein Radsportler nicht plötzlich vermehrt laufen und umgekehrt sollte ein Läufer nicht über mehrere Wochen kaum laufen und nachher wieder das zuvor gewohnte Pensum aufnehmen).
Bei mir ist das nicht so wichtig, da ich ohnehin mit Laufen, Radfahren, Krafttraining und ganzjährig Reiten als Alternativsport sehr vielfältig unterwegs bin. Man könnte aber wetterabhängig das Radfahren durch Wintersport wie Tourengehen oder klassisch Langlaufen (Skating ist für die Allermeisten nicht als Grundlagentraining und damit sehr schlecht als Ergänzung geeignet) ersetzen – für mich lohnt sich nur der Anfahrtsweg schlichtweg nicht und ich genieße es sehr, meine Sportarten direkt und zeitsparend von der Tür weg ausüben zu können.

Es lohnt sich auch, in der wettkampffernen Zeit an Kraftdefiziten und –dysbalancen, der sportartspezifischen Beweglichkeit sowie an anderen Schwächen zu arbeiten – alles, wofür mitten in der Hochleistungsphase vielleicht weniger Zeit und Fokus vorhanden ist.
Auch gutes Techniktraining ist hier ideal als Schwerpunkt – mit geringerem Umfang ist man frischer und daher fällt die Koordination leichter. Zudem ist für eine Automatisierung einer Bewegung notwendig, dass sie einen gewissen Prozentsatz aller absolvierter Bewegungszyklen ausmacht. Versucht man etwa mitten in einem Marathontraining seine Lauftechnik zu adaptieren, fällt das viel schwerer, als in Zeiten mit kurzen Läufen, wo man weder auf Pace fokussiert, noch stark vorermüdet ist.
Inputs einer LAUFanalyse mit individuellem Technikprogramm sind also im Moment am Besten umsetzbar.

Ich trainiere Intensität das ganze Jahr über, so auch im Entlastungsmonat. Allerdings fokussiere ich hier mehr auf die Grundschnelligkeit, denn das sind einfach Programme, die mir deutlich mehr Spaß machen, als überlange VO2Max-Intervalle oder gar Tempotrainings im Schwellenbereich. Letztere Trainings sind eher wettkampfspezifisch und dafür bringe ich mehr Motivation in der unmittelbaren Vorbereitung auf. Das Training der Grundschnelligkeit ist in den meisten Ausdauerdisziplinen als Zubringerleistung relevant, aber weniger wettkampfspezifisch (Ausnahme: meine Rennen mit Windschattenfreigabe am Rad, hier kommt es zu vielen Sprintattacken, das trainiere ich also auch knapp vor Bewerben).
Problematischer ist, wenn Athleten gerne im Schwellenbereich unterwegs sind und dementsprechend früh im Jahr viel davon machen. Diese schieben die Form schnell an, sie steht dann aber mangels Grundlagenvolumen und anderer Reize auf wackeligen Beinen. Eine Frühform ist die Folge – Leistungstests in der wettkampffernen Zeit versprechen Großes, aber zu den Hauptwettkämpfen ist „die Luft raus“. Für die Interpretation von Leistungstests ist daher Betreuung von außen für viele wichtig – man kann auch „zu gut“ zum entsprechend ungünstigen Zeitpunkt sein.
Daher trainiere ich in der wettkampffernen Zeit mehr polarisiert (Grundlagentraining wirklich locker, kaum Schwelle, etwas Grundschnelligkeit und ordentliches Krafttraining) und später im Jahr dann etwas ausgeglichener. Macht man viele (Vorbereitungs-)Wettkämpfe, so ergeben sich die mittleren Tempobereiche automatisch dadurch.
Während man im Grundlagenbereich unbedingt Intensitäts-/Pulsobergrenzen einhalten sollte, kann man das restliche Training auch gern in „schlecht messbarer“ Art durchführen – z.B. Hügelsprints, wo die Pace nicht aussagekräftig ist und so keinen mentalen Druck ausübt. Weniger messen und mehr fühlen ist ein guter Ratgeber für die flotten Trainings.

Vereinfacht gesagt gibt es zwei Typen von Athleten – die einen machen in der Offseason zuviel, die anderen zu wenig. Dies ist auch abhängig davon, ob man schon konkrete Wettkampfziele für die nächste Saison hat, sich vielleicht gerade eben irgendwo angemeldet hat oder ob man noch „völlig in der Luft hängt“. Beide Zugänge sollten in geordnete Bahnen gelenkt werden, um eine gute Basis für ein risikoarmes weiteres Aufbautraining zu bieten. An dieser Stelle sei aber auch noch gesagt, dass es völlig normal ist, jetzt im Herbst einmal alles in Frage zu stellen – was möchte ich sportlich machen, sind es wirklich meine Ziele oder ist es eher von außen aufoktruiert, was kann ich verbessern, um noch mehr – langfristig – Spaß an der Sache zu haben. Ein mentales Tief zwischendurch ist völlig normal, ein leicht erfüllbarer aber doch guter weiterer Trainingsrhythmus führt auch hier zu kleinen, aber regelmäßigen Erfolgserlebnissen. Ich war nach dem zweiten Pandemiejahr so frustriert, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, nochmal neu auf Wettkämpfe aufzubauen, wenn es ständig gefühlt "alles" abgesagt oder verschoben wird. Nach ein paar ruhigeren Wochen war der Biss dann wieder da.

Eine weitere Fehlerquelle in der Offseason, die einem die gesamte folgende Saison zerstören kann: Die Herbst- und Winterzeit bis zum Jahreswechsel (wenn die Tage dann auch langsam wieder länger werden) eignen sich am Schlechtesten zum Abnehmen, der Körper gibt einfach nix her. Im Gegenteil, selbst bei bedarfsdeckender Energiezufuhr nimmt man durch die im Durchschnitt etwas besser gefüllten Kohlenhydratspeicher schnell mal 2-3kg an Wassereinlagerung zu (genauso, wie im Tapering vor einem Wettkampf). Das ist normal und erwünscht. Auch das eine oder andere Kilogramm Körperfett darf dazukommen, man sollte es aber nicht übertreiben, sonst folgt beim Abnehmen in der trainingsreicheren Zeit das Problem der wiederholten und zu großen Energiedefizite. Sich komplett „gehen zu lassen“ ist weder beim Trainingsinhalt noch beim sonstigen Lebenswandel sinnvoll.

Manche Sportler schwören auch auf jährliche Fastenkuren, als eine Art körperlichen und geistigen „Reset“. Es kommt dabei zur sogenannten Autophagie (=Müllabfuhr im eigenen Körper, kaputte Zellen werden durch Neue ersetzt) und hat somit einen gewissen Vorteil. Diesen erkauft man sich aber durch einen katabolen (=abbauenden) Stoffwechselprozess, also es wird nicht nur Kaputtes, sondern auch Intaktes abgebaut. Diesen Zustand erreichen wir prinzipiell auch durch den Sport an sich – nur eben nicht in dieser deutlichen Ausprägung wie durch mehrtägiges Fasten.
Ein weiterer Punkt, der sowohl durch Fasten als auch durch Ausdauertraining verbessert wird: Die Ökonomie. Das heißt, unser Körper kann mit weniger Energie/Grundumsatz auskommen. Das ist in Disziplinen, wo man an die Grenzen der möglichen Kalorienzufuhr gelangt, durchaus von Vorteil – man erkauft es sich allerdings eben auch durch einen generell etwas niedrigeren Kalorienverbrauch über den Tag.
Grundbedingung für Fasten ist ein normaler Körperfettanteil (sehr schlanke Athleten sollten davon absehen, da einfach die Reserven fehlen - wäre also nix für mich!) und ein völlig normales Essverhalten (siehe dazu auch die Aufzählung problematischer Gedanken rund ums Essen in meinem Artikel Ernährung I).
Wenn man klassisches Fasten über 5 Tage (hier sind die Effekte der Autophagie in Relation zum „beliebigen“ generellen Zellabbau etwas größer als z.B beim dauerhaften und damit sehr leistungsfeindlichen intermittierenden Fasten) als wichtigen Bestandteil des Lebensstils ansieht, so sollte man dies auf alle Fälle in eine sehr (!) trainingsreduzierte Zeit legen und maximal kurze und lockere Einheiten parallel dazu einplanen - und vor allem auch sonst keinen Stress haben (Urlaub nehmen!). Schaut man sich all diese Faktoren an, so wird klar, dass es nur für die allerwenigsten Athleten überhaupt umsetzbar ist.
Wenn man gezwungenermaßen fasten muss, wie es vor planbaren Gesundenuntersuchungen wie der Koloskopie der Fall ist, muss man auch das Training entsprechend der fehlenden Energie auf ein absolutes Minimum reduzieren. Diese Untersuchungen gehören idealerweise wie alle anderen Gesundheitschecks in die ruhigere Zeit des Jahres – um auch z.B. Blutwerte (siehe Liste aus meinem Artikel Ernährung III) nicht durch intensive Trainings und Wettkämpfe zu verfälschen.

Generell kann man sagen, dass zyklische Phasen auch hinsichtlich Ernährung und damit zusammenhängend anabole (=aufbauende) und katabole (=abbauende) Phasen durchaus natürlich für uns sind und Sinn machen.
Als Sportler kommt es sehr auf die Disziplin an, wie viel katabole Prozesse wir gut wegstecken. Ist die (Schnell-)Kraftkomponente eine sehr Wichtige, wird die Leistung früher in den Keller gehen, als wenn die Ökonomisierung bei langer Belastungsdauer eine große Rolle spielt.
Niedrige Blutfettwerte, wie man sie bei katabolen Prozessen gerne findet, sind für die Reinigung der Blutgefäße günstig, sie über lange Zeit aufrecht zu erhalten kostet buchstäblich Substanz.
Zyklen spiegeln sich aber eben auch in der Trainingsbelastung wider. Der Anfänger erfährt noch eine fast lineare Anpassung an neu aufgenommenes Training, je näher man an seinen genetischen Leistungshorizont kommt, desto mehr pendelt es sich um diesen herum ein und man muss den Aufbau schon immer genauer anpassen, um noch Adaptionen zu erreichen. Dazu gehört alles vom unmittelbaren Regenerieren nach dem einzelnen Training bis zum ausgiebigeren Runterfahren zwischen zwei Sportjahren. Macht man hier (größere) Fehler, kann das Training schlichtweg nicht wirken.

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