Ernährung generell und im Speziellen für Athleten
Teil II – Was esse ich?
Nachdem ich im ersten Teil zu den benötigten Mengen geschrieben hab, kam (erwarteterweise) die Frage auf „Du isst aber nicht wirklich so viel und bist dünn? Ich wäre damit kugelrund“.
Tatsächlich esse ich aber so „viel“ (mir kommt es ja nicht nach viel vor, für mich ist das einfach normal!) und bei mehr Training ist es auch entsprechend mehr.
Wenn ich zurückdenke und auch nochmal darin blättere, was ich Ende 2018 in meinem Buch DUATHLON zum Thema Ernährung geschrieben habe, wird mir einmal mehr bewusst, dass es mir sehr geholfen hätte, in den Anfängen meiner Sportkarriere viel mehr zu dem Thema gewusst zu haben.
Im Grunde bin ich erst dann so richtig leistungsfähig geworden, als ich einen intuitiv für mich sehr guten Zugang zu Ernährung und Gewicht gefunden habe. Das war etwa ab 2012 der Fall, davor aber leider nicht. Wie viele habe ich schlichtweg den Kalorienbedarf bei einem gesunden Stoffwechsel und als Sportler unterschätzt. Dadurch kommt man in einen Teufelskreis aus dem, was man heute RED-S nennt, gefolgt von Heißhunger und Gewichtszunahme. Es ist klar, dass man die Konsequenz, die man beim Training umsetzt, nicht beim Essen beibehalten kann (!), wenn man einfach unterversorgt ist (meist ohne es zu wissen). Der Körper holt sich (fast immer) am Schluss zumindest das Mindestmaß, das er braucht, dann gern auch bis zum Exzess.
Ich habe im Buch noch von der „negativen Energiebilanz“ geschrieben und die stimmt leider nach heutigem Wissen nur bedingt – denn wie in Teil I beschrieben, ist unser Stoffwechsel einfach zu flexibel. Man lernt nie aus.
Woran aber merkt man, dass man wahrscheinlich mit dem Essen ein Problem hat? Das ist sehr individuell, aber ein paar kritische Punkte sind:
• Gedanken drehen sich „fast immer“ ums Essen, das Thema ist mit „schlechtem Gewissen“ verbunden oder man möchte sich bei kommenden Mahlzeiten dafür bestrafen, dass man davor „zuviel“ oder „das Falsche“ gegessen hat
• Der eigene Selbstwert hängt stark an der Zahl, welche die Waage anzeigt, zum Teil exzessives Wiegen mehrmals am Tag
• Man baut sich ein Regelwerk aus „guten“ und „bösen“ Lebensmitteln, die dann – wenn man mal rational von außen darauf blickt – nicht mehr zu rechtfertigen sind (z.B. „Zuckerverbot“, das zum Konsum extremer Mengen von Essig führt, Vermeiden von fetthaltigen Produkten, was zu einer übermäßigen Aufnahme von Magerjoghurt oder Ähnlichem führt)
• Permanentes Hungergefühl, starke Schwankungen der Tageskalorienmenge, die nicht durch den Verbrauch bestimmt sind, Aufwachen vor Hunger in der Nacht
• Die Motivation für das Training wird stark vom jeweiligen Kalorienverbrauch bestimmt, viele „leere Kilometer“ bis hin zur Sportsucht (obwohl man weiß, dass einen ein ruhiger Tag leistungsfähiger machen würde, hält man es nicht aus, diesen auch einzuhalten)
• Leistungsverschlechterung
• Augenblickliche Leistungsverbesserung, wenn man Zucker zuführt (das muss dann noch keine Störung sein, aber je stärker man auf Gels etc. anspricht, desto kritischer war die Versorgung schon davor – kann aber natürlich auch nur ein temporärer Energiemangel durch intensive Belastung sein)
• Man versucht, beim Training die Kalorien zu kürzen, um nachher „mehr Puffer zu haben“, oder auch im Alltag "wenn ich jetzt bissl Kalorien einspare, werde ich dünner", "wenn ich länger Hunger hab, werde ich dünner", dazu gehört auch das Auslassen von Mahlzeiten („Dinner Cancelling“, „Intervallfasten“) oder starkes Einschränken ("Kohlenhydrate am Abend verboten" und Ähnliches)
• Zucker wird mit Süßstoffen ersetzt und man bekommt dadurch Heißhunger auf „echte“ Kohlenhydrate (glaubt das Gehirn aufgrund des Geschmacks, es erhält Zucker, der dann aber nicht kommt, führt dies zu deutlich mehr Hunger!)
• Man wird von anderen auf „abnormes“ Essverhalten angesprochen (Achtung: Sportler haben einen sehr hohen Bedarf und so manch völlig normale Mahlzeit kommt anderen dann rasch als „Binge-Eating“ vor, obwohl es das nicht ist! Hier lohnt es, sich mal überschlagsweise die Kalorien auszurechnen!) oder beginnt auch, Essen in Gesellschaft generell zu vermeiden.
• Akribisches Kalorienzählen auf Dauer, enge „Sollbereiche“ ohne auf das Körpergefühl zu hören
• Medikamentenmissbrauch (Abführmittel, Schilddrüsenmedikamente, …) oder beabsichtigtes Erbrechen, um „Kalorien loszuwerden“
Diese Liste ist keineswegs vollständig und soll nur als Anhaltspunkt für Selbstreflektion dienen. Das Gewicht, der Körperfettanteil oder die allgemeine Optik sind dabei oft unauffällig. Nur eine schnelle Gewichtsveränderung (mehr als 2kg Körperfett/Monat Zu- oder Abnahme) ist hochgradig auffällig. Ideal bei Gewichtsabnahme wären max. -1kg/Monat, nur bei sehr stark Übergewichtigen kann das zu Beginn mehr sein.
Im Grunde haben (so traurig das ist) nur wenige Menschen im oder außerhalb des Sports überhaupt einen wirklich gesunden und positiven Zugang zum Essen. Viele negative Verhaltensmuster haben wir alle bereits in unserer Kindheit kennengelernt und es ist essentiell, sich der Effekte bewusst zu werden.
Weiterführende Infos und Beratungsstellen in Österreich:
https://www.oeges.or.at/Essstoerungen/Arten-von-Essstoerungen/
Auch beim Lesen dieser Artikelserie soll keinesfalls der Eindruck entstehen, man müsse sich „perfekt“ ernähren. Orthorexie (krankhaftes „gesund essen Wollen“) ist absolut nicht leistungs- und schon gar nicht lebensqualitätsfördernd. Es sollen nur die gröbsten Fehler und Mängel vermieden werden, das letzte bisschen Perfektion bringt sicherlich keine bessere Versorgung mehr, dafür viel regenerationshemmenden Stress und den können wir so gar nicht gebrauchen.
Die Größenordnung der benötigten Energiemenge kennen wir schon aus Teil I. Bei der Verteilung ist zu beachten, dass bei extremer Reduktion eines Makronährstoffes (Kohlenhydrate, Eiweiß, Fette) meist ein größerer (Heiß-)Hunger die Folge ist, da der Körper das Bestreben hat, von allem etwas zu bekommen. Da auch größere Mengen essentieller Fett- und Aminosäuren für die Regenration wichtig sind und Kohlenhydrate sowieso die Basis für eine gute Ernährung im Ausdauersport darstellen (die Zelle verbrennt, was sie kennt – das ist trainierbar!), sieht das auch bei mir durchschnittlich so aus:
• Frühstück 8Uhr: ca. 650kcal
Tee (gezuckert), Müsli mit Haferflocken, Insektenpulver, Walnüsse, Rosinen, (Soja-)Milch
An Tagen mit knappem Abstand zu Intensität (Bahntraining in der Früh) eher 500kcal in Form von Tee (gezuckert), 3 Vollkorntoasts mit Butter und Marmelade (dann MEHR an Sporternährung nötig!)
• Mittags 13Uhr: ca. 1000kcal (früher wars weniger)
Familiär bedingt meist kalte (Brot-)Mahlzeit mit Eiweißshake (gezuckert) nach dem Training, Nachspeise
• Abends 19Uhr: ca. 1250kcal (früher wars mehr)
Gekochte Mahlzeit, Nachspeise
• Zusätzlich neu eine kleine Zwischenmahlzeit am Nachmittag (Obst, Buttermilch, Riegel, …)
• und Sporternährung (Iso, Riegel) beim Training
Größere Portionen mittags+abends ergeben sich, wenn ich mehr trainiere, insgesamt komme ich im Durchschnitt auf ca. 3200kcal/Tag. Das passt mengenmäßig sehr gut und bei intuitivem Essen bekomme ich auch genügend Eiweiß.
Problematisch kann es auf Reisen werden, wenn meine bevorzugten Eiweißquellen nicht verfügbar sind oder durch verschobene Essenszeiten der Rhythmus durcheinanderkommt. Da muss ich in Zukunft besser darauf achten und überschlagsmäßig mit meiner gewohnten Ernährung zu Hause vergleichen!
Ein wichtiger Input war für mich die Aufstellung nach Tageszeit – denn hier konnte ich durch das Vorziehen der Kalorienmenge mein Defizit über den Tag deutlich abfedern.
Berechnet man den Bedarf, kommt man auf:
• Zeitfenster Vortag 20Uhr bis 8Uhr Früh (12h) ca. -650kcal (=Körpergewicht in kcal/h) = Energiedefizit nach der Nacht = Ausgleich mit Frühstück
Rest vom Tag ca. 115kcal/h Grundumsatz (45kcal/FFM – siehe Teil I – abzüglich der Nacht)
• Energiedefizit zu Mittag ergibt sich somit mit 575kcal PLUS Trainingsumsatz minus Sporternährung
Damit ergibt sich bei mir in der ersten Tageshälfte schon ein ordentliches Defizit, das ich inzwischen durch ein angepasstes Mittagessen und eine Zwischenmahlzeit am Nachmittag abfedere.
Wer das kritisch betrachtet, etwas vertiefend zum temporären Energiedefizit ein paar Worte von mir: Methodisch stelle ich die Studien, die genau um Mitternacht einen Reset machen und bei Null zu zählen beginnen, danach fordern, dass man in einer 400kcal-Range bleibt, absolut in Frage. Trotzdem zeigt sich deutlich, dass ich (wie wahrscheinlich die Allermeisten) in der ersten Tageshälfte zu wenig gegessen habe. Das erzeugt Stress (Cortisol!) und verschlechtert Laune und Regenration deutlich. Ich merke, wie es mir mit der kleinen Umstellung deutlich (!) besser geht.
• Energiedefizit am Abend 690kcal PLUS evtl. 2. Training/Laufanalysen/Freizeitaktivität PLUS Energiedefizit von zu Mittag
Der Vorteil bei einem großen Abendessen ist natürlich, dass man auf keine Trainings danach Rücksicht nehmen muss. Der Nachteil ist, dass die Energie davor fehlt und der Körper Stress hat. Deshalb schaue ich, welcher Kompromiss zum jeweiligen Tagesablauf passt – je nachdem, wie viele und welche Trainings ich habe (vor Läufen muss ich mehr mit der Größe der Mahlzeit aufpassen, als vor Radfahrten).
Es lohnt sich also, etablierte Gewohnheiten zu reflektieren und in meinem Fall Frühstück, Mittagessen und Sporternährung kalorientechnisch mehr auszureizen, plus eine kleine Zwischenmahlzeit am Nachmittag einzuführen. Ich habe am Abend nicht mehr annähernd soviel Hunger und gerade Nachspeisen sind weit weniger attraktiv.
Konkret als Ausdauersportler braucht man neben den vorher genannten Kalorien auch eine entsprechende Verteilung der Makronährstoffe. Kohlenhydrate sind für mich ohnehin eine sehr wichtige Basis, denn meine Zellen müssen diese auch im Wettkampf effizient verstoffwechseln können. Dass die Tagesmenge zu einem großen Teil auch aus einfachen Zuckern besteht, liegt daran, dass man bei der Belastung einfach nichts anderes verträgt und auch nachher die Speicher damit gut und schnell aufgefüllt sind. Ich versuche das mit sehr ballaststoffreichen Kohlenhydrat-Quellen (Vollkorn) auf der anderen Seite etwas auszugleichen, aber prinzipiell kommen bei einem hohen Kalorienbedarf einfach auch deutlich größere Zuckermengen als von der WHO empfohlen, heraus.
Große Bedeutung hat auch Eiweiß - weil wir beim Training Zellen zerstören und wieder aufbauen müssen, selbst wenn wir keinen Masseaufbau wie ein Bodybuilder zum Ziel haben. Dieses Eiweiß muss entsprechend hochwertig sein (=ähnlich wie unser Körper in der Zusammensetzung, ausreichend (semi-)essentielle Proteine). Mit vielfältiger Ernährung ist das meist automatisch gegeben, als Vegetarier mit wenig Milch- und Eierkonsum oder Veganer ist es wichtig, zumindest immer wieder einmal seine Ernährung zu tracken und auf ausreichende und in der Aufteilung passende Versorgung zu achten (es ist absolut möglich, aber es passiert eher nicht „zufällig“). 1,5-2g/kg Körpergewicht sollten es pro Tag sein, je geringer der Körperfettanteil und je größer die „Zerstörung“ durch das Training, desto mehr sollte man sich am oberen Rand orientieren. Greift man viel auf pflanzliche Eiweißquellen zurück, gilt das genauso, denn man wird selten das ideale Verhältnis der Eiweißzusammensetzung erwischen.
Für mich hat es sich als praktisch herausgestellt, ergänzend auf Molken- und Insektenproteinpulver (letzteres hat mir auffällig gute Omega3-Werte beschert) ohne jegliche Zusatzstoffe zurückzugreifen. Ich mag beides geschmacklich, es ist auf Reisen praktisch und ich muss mir hinsichtlich der Bedarfsdeckung auch an Tagen, wo ich weniger sonstige tierische Eiweißquellen esse, keine Sorgen machen. Vegane Alternativen sollten auch hinsichtlich Eiweißwertigkeit optimiert sein (=unterschiedliche Eiweißquellen ideal zusammengestellt).
Gerade bei der Reduktion von Körperfett ist es sehr wichtig, auf genügend Eiweißzufuhr zu achten – zum Einen sättigt Eiweiß sehr gut, zum Anderen ist der Körper sehr unzufrieden, wenn er davon zu wenig bekommt und reagiert wiederum mit Heißhunger.
Zur Fettsäurenzusammensetzung ist zu sagen, dass wir neben essentiellen Fettsäuren und Fett als Transporteur fettlöslicher Vitamine auch einen großen Hebel hinsichtlich Reduktion von oxidativem Stress über Omega3-Fettsäuren haben. Davon haben wir fast alle (in Relation zu den eher entzündungsfördernden Omega6) zu wenig und auch in veganer Ernährung sind diese üblicherweise unterrepräsentiert. Über spezielle Fisch- und Algenöle kann man hier die Ausgangslage deutlich verbessern (gibt es als normales Nahrungsmittel oder in Kapselform, falls jemand den Geschmack nicht mag). Schafft man auch eine leichte Reduktion der Omega6-Fettsäuren (das oft genutzte Sonnenblumenöl wäre hier ein recht mächtiger Hebel, das lässt sich leicht vermeiden), bessert sich das Verhältnis deutlich.
Bei mir haben die oben genannten Insekten (wer es probieren möchte, -10% mit Gutscheincode SANDRINAILLES) einen extrem positiven Effekt gezeigt. In der Zusammenarbeit mit Thomas Humberg habe ich noch weitere Kleinigkeiten in meiner Ernährung verbessert, dazu gehört die Verwendung eines anderen Bratöls (High Oleic Bratöl anstatt Rapsöl wie bisher). Schmeckt gleich, wirkt sich aber ausgleichend auf die Fettsäurenverteilung in meinem Blut aus – ohne dass ich auch nur irgendwelche geschmacklichen Einbußen hätte.
Eine gute Nachricht der umfangreichen Blutuntersuchung war auch, dass ich ruhig noch mehr von meiner täglichen Schokolade essen kann – die Werte sind top, der Körper verbrennt das alles.
Es ist allerdings auch nicht notwendig, sich „100%ig“ perfekt zu ernähren, die Frage ist eher, wie groß die Abstriche in der Versorgung unseres Körpers ist. Will ich mein genetisches Maximum möglichst ausreizen, werde ich mehr auf die Zusammensetzung meines Treibstoffes achten, als wenn ich mit deutlich weniger zufrieden bin.
Für mich ist es beispielsweise sehr wichtig, dass es unkompliziert ist und mir einfach schmeckt. Es gibt fast keine ungesunden Lebensmittel und die Dosis macht es aus. Ich esse und koche gerne und ich möchte weder die Zusammensetzung unterschiedlicher Proteinformen berechnen, noch mit Waage Kalorien zählen. Eine gewisse Entspannung bei diesem Thema bringt Lebensqualität und verhindert Stress – auch extrem wichtig in diesem Zusammenhang. Mit diesem Artikel will ich also keinesfalls verursachen, dass man wegen der „letzten suboptimalen 2%“ in Sorge verfällt, aber ein paar grobe Anhaltspunkte zur Reflektion bieten, vor allem dann, wenn man sich in irgendeiner Hinsicht speziell ernährt oder bisher schon eher Probleme mit dem Thema Gewicht und/oder Energieverfügbarkeit hatte.
Der einzige Punkt in der Ernährung, bei dem die Meisten nicht „zu wenig locker“ sondern „viel zu locker“ sind, ist das Thema Alkohol. Der kommt in meiner Ernährung nämlich gar nicht vor – als Zellgift würde er meinen Trainingserfolg torpedieren und die Regenerationszeit deutlich verlängern. Ich nutze meine Fitness dann aber lieber für Freizeitaktivitäten, die mir wirklich Spaß machen.
Weiterführend zu RED-S (Mangelernährung bei Sportlern, Kalorienbedarf):
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/29/2/article-p152.xml
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/28/4/article-p350.xml
Weiterführend zu WDEB (Energieverfügbarkeit innerhalb des Tages):
https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/28/4/article-p419.xml