Kontinuierliche Glukosemessung im (Hoch-)Leistungssport

Teil IV - Nutzung im Wettkampf und Zusammenfassung

In der Zeit der kontinuierlichen Glukosemessung habe ich zwei Wettkämpfe bestritten, nämlich die Staatsmeisterschaften über 10 000m und den Französischen Grand Prix Duathlon über die Sprintdistanz.
Währende bei Ersteren aufgrund der Startzeitverschiebung um über eine Stunde das Timing der Vorwettkampfernährung komplett in die Hose ging und ich leider im völligen Zuckertief starten musste (die Versuche, das noch irgendwie zu retten, sind aufgrund des für den ursprünglich geplanten Starts zugeführten Gels mit Koffein und leicht verfügbaren Kohlenhydraten gescheitert – die Insulinausschüttung war ohne dauerhafte Belastung wie Aufwärmen einfach zu hoch), war die Versorgung beim Duathlon nahezu perfekt.
Es zeigt sich also, wie kritisch Kohlenhydratmenge, -beschaffenheit und Zeitpunkt der Zufuhr sind, um dann wirklich Leistung abrufen zu können.

Im Alltag ist das (zumindest für mich) weniger ein Problem, weil normale Mahlzeiten den Blutzucker nicht so sehr destabilisieren, wie ein ohne begleitende Fette und Eiweiße zugeführtes Gel oder Sportgetränk. Diese sehr leicht verfügbaren Kohlenhydrate führen ohne sportliche Betätigung zu einer sehr hohen Insulinausschüttung, um die Glukose abzubauen – und damit meist zu einem Rebound-Effekt, das heißt, es gibt etwas zuviel Insulin und der Blutzucker sinkt zu weit - besonders dann, wenn zu einem (zu späten) Zeitpunkt dann doch noch körperliche Belastung dazukommt (und damit der Energieverbrauch stark ansteigt).
Leicht verfügbare Kohlenhydrate sollten deshalb idealerweise erst direkt beim Aufwärmen eingesetzt werden – hier führt nämlich der gesteigerte Verbrauch durch Aktivität dazu, dass gar nicht erst soviel Insulin ausgeschüttet und damit der Rebound-Effekt verhindert wird.

Es gibt unterschiedliche Ernährungsprotokolle für den Wettkampftag und auch das Carboloading in den Tagen davor. Hier kann sinnvollerweise jeder etwas nach Vorlieben experimentieren (in Teil I habe ich dazu ausführlicher geschrieben).
Allerdings ist es immer wichtig, die Balance zwischen ausreichend Kohlenhydraten (zum Auffüllen der Speicher) und blutzuckerstabilisierenden Effekten durch Fette, Eiweiß und Ballaststoffe zu finden.
Es gibt auch den Ansatz, 4 Stunden vor einem Bewerb eine Mahlzeit mit hohem Fettanteil zuzuführen und dann direkt vorm Wettkampf auf leicht verfügbare Kohlenhydrate zu wechseln. Ich kann mir vorstellen, dass es stark sportart- und auch individuell abhängig ist, ob der Magen das gut aushält (am Rad kann ich mir das eher vorstellen, als beim Laufen …)

Ich selbst gehe das eher pragmatisch an – bis 3-4h vorher esse ich einfach meine ganz normal gewohnten Mahlzeiten, eine bunte Mischung aus Kohlenhydraten, Fetten und Eiweiß. Eventuell erhöhe ich schon intuitiv oder bewusst etwas den Kohlenhydratanteil, setze da aber auch auf viele komplexe Varianten wie Vollkornprodukte. Ich esse genug Süßes hinterher, also auch die leicht verfügbaren Kohlenhydrate sind ausreichend vorhanden. Aufgrund der begleitenden Trainingsreduktion sind dann die Speicher vermutlich immer gut gefüllt. Mit einer besonders fettreichen Mahlzeit 4h vor dem Bewerb hätte ich ein ungutes Gefühl.
Ausschließlich auf Kohlenhydrate zu setzen kann auch schnell suboptimal werden, insbesondere, wenn man sonst einen höheren Fett- und Eiweißanteil gewohnt ist. Ein exzessives Carboloading am Vorabend kann nämlich erst recht durch übermäßige Insulinausschüttung zu einem Unterzucker in der Nacht führen – und dann fühlt man sich beim Wettkampf schwer und träge (und weiß oft nicht, warum). Deshalb gilt tendenziell wieder, bei Gewohntem und Bewährtem zu bleiben und nur etwas zu ändern, wenn es Probleme gibt, bzw. diese in der Glukosemessung deutlich werden (dann kann man auch gezielt gegensteuern).
Die Trainingsreduktion mit begleitendem Auffüllen der Glukosespeicher zeigt sich auch in etwas höheren Durchschnitts-Tages-Glukosewerten – 10-20mg/l mehr als sonst sind völlig normal und auch notwendig, um gut versorgt an der Startlinie zu stehen.

Viele Sportler, mich eingeschlossen, haben bei Aufregung eher das Problem, „nix runterzubekommen“. An sich bin ich ein psychisch ziemlich starker Wettkampftyp – also mir fällt es leicht, das richtige Aktivierungslevel für den maximalen Leistungsoutput zu erreichen und dazu gehört eben auch eine gewisse Aufregung.
Leider sagt mein Magen dann genauso wie bei echten psychischen Belastungssituationen „nein“ zu jeglichem Essen. Zwinge ich mich, wird mir eher schlecht.
Hier ist es wichtig, herauszufinden, wie man seinen Körper „austricksen“ kann. Eine Möglichkeit ist, bewusst für die Essenszufuhr mental „runterzufahren“ und den anstehenden Wettkampf auszublenden. Manchmal gelingt mir das, durch Ablenkung durch ganz andere Themen. Mir hilft es beispielsweise sehr, nicht zu früh an den Wettkampfort zu reisen – bei internationalen Rennen nehme ich mir immer ein Quartier außerhalb der Stadt, wo nichts im Umfeld an den anstehenden Wettkampf erinnert.
Rückt der Bewerb zeitlich näher, ist oft nur mehr Aufnahme flüssiger Kalorienquellen möglich – mit dem Problem der leichten Verfügbarkeit der Kohlenhydrate und der Gefahr des Rebound-Effektes. Eine gleichmäßige zeitliche Aufteilung kann hier Abhilfe schaffen – also eine dauerhafte Zufuhr von Kalorien, aber nie viel auf einmal.

Spannend ist auch die Wechselwirkung mit Koffein. Gezielt setze ich es im letzten Gel vor einem Rennen ein, weil es die VO2Max temporär etwas anheben kann (Quelle). Gleichzeitig sinkt aber die Insulinsensitivität (also die Glukose gelangt nicht mehr so leicht in die Zellen) und die Glukosewerte im Blut steigen an. Die Reaktion auf Koffein ist aber wie so vieles individuell, dosis- und von den Gewohnheiten abhängig (trinke ich jeden Tag mehrere Espressi, wird der Effekt eventuell anders ausfallen, als wenn ich im Alltag sonst nie Koffein zuführe).
Auch hier gilt wieder – erstmal vor weniger wichtigen Wettkämpfen, bzw. im Training ausprobieren, eventuell mit Glukosemessung die Wechselwirkung (auch je nach Trainings- und Wettkampfintensität sowie -dauer) zu beobachten.
In Teil II habe ich ausführlicher über meine üblichen Tagesabläufe und Wechselwirkungen von Mahlzeiten und Glukose geschrieben. Koffein nutze ich allerdings tatsächlich nur unmittelbar beim Wettkampf.

Unbedingt testen möchte ich auch noch das Verhalten des Blutzuckerspiegels im Höhentraining – das hat sich nur aktuell leider nicht umsetzen lassen.
Der Energie- und vor allem Kohlenhydratverbrauch ist in der Höhe gesteigert und entsprechend viele Probleme können daraus entstehen. Besonders zu Beginn des Höhenaufenthalts kann man sich hier schnell einmal „abschießen“ (=Unterzuckerung bei ähnlicher Trainingsintensität ohne mehr Nachschub bei Belastung). Hier wäre interessant zu sehen, ob und inwiefern sich das in der kontinuierlichen Glukosemessung abbilden lässt und ob das Tool ähnlich nützlich in dieser ungewohnten Belastungssituation ist, wie es der Pulsmesser auch leisten kann. Das Körpergefühl muss in der Höhe ja praktisch neu „geeicht“ werden und da passieren schnell einmal Fehler. Vor allem der bei vielen verminderte Appetit in der Höhe ist ein Katalysator.
Erwartet wird ein höherer Nüchternblutzucker, der sich mit der Akklimatisation normalisiert (Quelle), oft auch ein höherer Durchschnittswert (ausgelöst durch ein höheres Level an Cortisol aufgrund körperlicher Belastung durch schlechtere Sauerstoffverfügbarkeit). Weiters erwartet man eine sinkende Insulinsensitivität während des Höhenaufenthaltes, die sich danach aber wieder normalisiert.
Eventuell kann man auch hier Erkenntnisse gewinnen, warum manche Athleten auf Höhentraining schwören und zumindest subjektiv stark davon zu profitieren scheinen (mich eingeschlossen), während andere Sportler ihre Form damit ziemlich zugrunde richten. Häufig ist es eine schlechte Versorgung mit Eisen (wichtig für die Blutbildung), kann das ausgeschlossen werden, ist eventuell ein nicht mehr adäquat funktionierender Glukosestoffwechsel, bzw. schlichtweg unzureichende Versorgung mit Kalorien die Ursache für den Leistungseinbruch.

Ein Detail am Rande ist die Kritik am  „Time Lag“ bei den Sensoren vs. der Messung im (Kapillar-)Blut – aus meiner Sicht ist das aber sowieso der geringere Effekt die unterschiedlichen Messmethoden betreffend – denn intrazellulär sind die Glukosespitzen je nach Person deutlich höher als jene im Blut (Vergleiche mit Teil III der Serie). Auch der zeitliche Unterschied kann je nach Person unterschiedlich ausfallen (Quelle)
Relevant ist das jedenfalls beim Vergleich mit “Normblutwerten” aus bisherigen Studien, wenn sie mit einer jeweils anderen Messmethodik gemacht wurden und natürlich für Diabetiker.

Zusammenfassung:
„Basis-Blutzucker“ 90 - 110mg/dl beim Gesunden
Höhere Blutzuckerspiegel entstehen als Produkt von höherer Zufuhr (Mahlzeiten) und höherem Verbrauch (Sport)
(Mentaler) Stress „pfuscht“ hier hinein, weil der Körper auf hohen Aktivität vorbereitet wird, die aber nicht kommt
Guter Schlaf hat eine enge Wechselwirkung mit dem Blutzuckerspiegel
Höhere Durchschnittswerte (GMI) treten bei Männern, schnellkräftigen Sportlern und stark austrainierten Athleten auf, auch höhere Trainingsintensität und mehr Volumen führt zu höheren Werten (diese korrelieren nicht unbedingt mit dem im Blut gemessenen „Langzeitzucker“ HbA1c)
Die kontinuierliche Blutzuckermessung bildet Spitzen gut ab, während die Fingermessung aus Kapillarblut diese unzureichend abbildet. Vergleiche sind daher nur bedingt zulässig. Der Time Lag zwischen den Messmethoden verursacht zusätzliche Unterschiede.
Das Timing bei der letzten Mahlzeit vor dem Training ist entscheidend, um den Rebound-Effekt (Tief nach dem Hoch) nicht zu ungünstigsten Zeitpunkt zu haben (nach 1,5-2h ist der Blutzuckerspiegel nach Mahlzeiten stabilisiert), leicht verfügbare Kohlenhydrate eher erst beim Aufwärmen oder in kleineren Mengen gut aufgeteilt zuführen verhindert hohe Insulinspitzen mit nachfolgenden Zuckertiefs vor/beim Sport.
Eine passende Aufwärmroutine ist aus metabolischer Sicht essentiell!
Carboloading produziert (gewollte) Glukosepeaks und –plateaus. Treten diese kaum auf, werden die Speicher immer leerer und man merkt den Energiemangel im Training (oder realisiert nur die schlechten Leistungen)
Je höher der Gesamt-Trainingsumfang, desto mehr sollte während des Sports zugeführt werden. Bei geringeren Umfängen (<1h/Tag) sind die Speicher meist deutlich besser gefüllt und es braucht weniger Nachschub unterwegs (allerdings sehr individuell, Kalorienverbrauch/Trainings(zeit)einheit schwankt auch je nach Körperzusammensetzung stark)
Niedrige Zuckerwerte sind nicht immer so spürbar wie beim „Hungerast“. Manchmal sind sie kaum merkbar, kommen aber wie ein Bumerang zurück – oft auch erst in den Folgetagen.
Zwei Trainings am Tag haben sich bei mir von der Energiebereitstellung her als Herausforderung gezeigt (weshalb ich sie wahrscheinlich unterbewusst weniger mag!), genauso ungewohnte Trainingszeiten mit ungewohnten Abständen zu den Mahlzeiten.
Nicht jeder Mensch reagiert auf dieselben Lebensmittel (bei derselben Menge / identer glykämischer Last) auch gleich.
Leistungsentwicklung und Abnehmen sind einander tendenziell entgegengesetzte Ziele, vor allem bei sehr austrainierten Athleten.
Der Körper verbraucht, was er bekommt. Will ich Schwerpunkte im Fettstoffwechseltraining setzen, strebe ich andere (Ganztages-)Glukoswerte an als wenn das nicht mein momentan vorrangiges Ziel ist.
Es gibt nicht die eine „richtige“ Ernährung, aber Extreme sind immer problematisch. Für volle Glukosespeicher müssen adäquat je nach Belastungslevel Kohlenhydrate zugeführt werden. Für ausreichende Regeneration und einen stabilen Blutzuckerspiegel braucht es allerdings eine ebenso adäquate Eiweißversorgung und (vor allem essentielle!) Fette. Eine sehr fettarme Ernährung bringt das Problem eines schlechteren Fettstoffwechsels und gleichzeitig (zu) gehäufte hohe Blutzuckerwerte mit sich, was die Fettspeicherung begünstigt. Auch all diese Effekte sind bis zu einem gewissen Grad individuell und trainierbar.
Substanzen wie Koffein, Kreatin, aber auch Alkohol beeinflussen den Blutzuckerspiegel (hier gilt es, die individuelle Wirkung herauszufinden, Alkohol als Zellgift kann man sich aber immer sparen).
Der Menstruationszyklus und auch andere hormonelle Umstellungen wie Menopause oder Schwangerschaft haben Einfluss auf die Insulinsensitivität und damit auf den Blutzucker (nicht selbst beobachtet – individuell!)
Höhentraining beeinflusst den Blutzucker (weitere Tests nötig)
Man sollte einzelne Parameter wie Puls, Pace, Watt oder auch Glukose keinesfalls überbewerten. Aber die kontinuierliche Glukosemessung bietet eine relativ gute Abdeckung vieler sehr stark erfolgsbeeinflussenden Lebensstilfaktoren – wie Füllung der Speicher, Energieversorgung direkt beim Training, Stresslevel. Schlafqualität und bietet neben der eindrücklichen Erinnerung an diese Punkte für einen selbst auch externen Personen (wie einem Trainer) einen sehr guten Überblick und viele Ansatzpunkte für einen erfüllenden Lebensstil – der dann idealerweise auch in sportlicher Leistungssteigerung mündet.
Auch ist die gute Kalorienversorgung (nicht nur Kohlenhydrate!) ein wichtiger Hebel hinsichtlich Cortisolausschüttung und damit Beeinflussung von chronischen Entzündungen. HIER habe ich ausführlicher dazu geschrieben.
Bitte keine Vergleiche mit „Idealbereichen“ (schon gar nicht mit der Kapillarblutmessung!), ein gesunder Körper toleriert das Verlassen von Referenzbereichen problemlos. Zudem sind wir nicht alle gleich. Gibt es bei dem Thema ein Problem – (zurückliegende) Essstörung, schlechtes Gewissen nach dem Essen, Einteilung von Nahrungsmittel in „gut“ oder „schlecht“, so macht einen Selbstversuch nur begleitet von einem mit dem Thema erfahrenen Trainer oder Ernährungsberater.
Wie man inzwischen an den vielen unterschiedlichen Artikeln von mir zum Thema (Sport-)Ernährung generell sowie zur Glukosemessung sowie den zahlreichen Querverweisen sehen kann - das Thema ist nicht nur komplex, sondern höchst individuell. Wir sind uns zwar genetisch ähnlich, aber eben nicht ident und vor allem hat jeder seine individuellen Ziele, Tagesabläufe und "Stolperfallen".

Nachteilig an der kontinuierlichen Glukosemessung sehe ich den Preis (zumindest bei längerfristiger Anwendung, ein Monat liefert aber schon sehr viele Infos) und dass die Kompatibilität nur mit wenigen Handymodellen gegeben ist. Alternative ist ein Lesegerät, das auch nochmal extra kostet.
Gestört hat mich der Sensor absolut null, ich hab ihn schlichtweg im Alltag überhaupt nicht bemerkt.
Dennoch sollte man wirklich dankbar sein, als Nicht-Diabetiker auf die Messung nicht angewiesen zu sein (!).
Verwendeter Sensor: Abbot Libre 3, 130 Euro / Monat (hier gibt es auch keine Aufzeichnungspausen, wenn man das Handy nicht dabei hat – sobald der Sensor wieder Bluetooth-Verbindung hat, werden die Aufzeichnungen lückenlos überspielt)

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