Neurotransmitter-spezifisches Training und Profiling
Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, mich intensiver mit der wattbasierten Auswertung der Radtrainings und-wettkämpfe auseinanderzusetzen und bin - obwohl ich sicherlich gar nicht der Typ bin, der jedem neuen Trend hinterherrennt - mit vielen hilfreichen neuen Erkenntnissen bedacht worden.
Das "Powerprofiling", bei welchem man Ausbelastungstests von 5sec bis zu 20min macht, führt zu einer nützlichen Stärken-Schwächen-Analyse eines Athleten. Gepaart mit den spezifischen Wettkampfanforderungen ergibt das ein gutes Bild vom noch nötigen Training dafür.
Beim Laufen ist das um vieles einfacher, man stellt sich einfach auf die Laufbahn oder rennt ein paar korrekt vermessene Straßenbewerbe und hat mit weit weniger finanziellem Aufwand ebenso ein brauchbares Leistungsprofil zur Hand.
Weitere Leistungstests mache ich persönlich nicht, sehr wohl aber jährliche Untersuchungen, ob man wirklich gesund ist (EKG, Blutbild mit sportrelevanten Parametern).
Eine gar nicht mehr so neue - aber in Europa noch nicht ganz so bekannte - Methode der Individualisierung des Trainings für unterschiedliche Athletentypen ist das Neurotransmitter-Profiling. Dies gibt Aufschluss darüber, wie (sportrelevante) Botenstoffe des vegetativen Nervensystems beim Einzelnen gewichtet sind.
Die abgefragten Neurotransmitter sind dabei
• Dopamin
• Acetylcholin
• Gamma-Amino-Buttersäure (GABA)
• sowie Serotonin.
Es wird mittels eines umfangreichen Fragebogens (leider inzwischen kostenpflichtig, alternativ aktuell HIER als PDF verfügbar) der oder die dominanten Neurotransmitter bestimmt und ein individuelles Profil erstellt. Es gibt keine "guten" oder "schlechten" Werte, jede Verteilung hat ihre Vor- und Nachteile, prädestiniert für bestimmte Wettkampfformate und gibt Wege vor, wie man eventuelle Risikofaktoren im Training umschiffen kann.
An meinem Beispiel erklärt sich etwa, warum ich mich auf den Langstrecken immer eher geplagt habe (wobei das natürlich absolut trainierbar ist!) - denn ich bin deutlich Dopamin-dominant. Das macht mich von Seiten meines vegetativen Nervensystems (das sehr häufig auch mit der Muskelfaserverteilung korreliert) zu einem Kurzstrecken-Athleten.
Schnellkraft fällt mir leicht, kurze und harte Trainings- wie Wettkampfbelastung mag ich einfach und stecke ich auch gut weg.
Die klassischen On-Off-Trainings am Rad (15-30sec hart / 15-30sec locker im Wechsel über 10min) oder auch Wechseltempoläufe fallen mir zigmal leichter (und sind tatsächlich dann auch schneller/intensiver!) als dieselbe Trainingsdauer mit monotoner Intensität.
Die Dopamin-Dominanz ist selten (17% der Gesamtbevölkerung und nur 7% der untersuchten Athleten sagt die aktuelle Datenlage). Die Sportler sind normalerweise ausgeprägte Wettkampftypen und können mit Stress und Druck gut umgehen (kann ich absolut bestätigen!)
Was hat sich für mich geändert?
Nachdem ich diesen Test erst nach einigen Jahren im internationalen Wettkampfsport und noch vielen Jahr mehr im Ausdauersport gemacht habe, ist mein Erfahrungsschatz nicht zuletzt durch viel Experimentieren in meinem Training schon sehr, sehr groß. Durch Ausprobieren habe ich einen Modus gefunden, der für mich ziemlich gut passt und das Neurotransmitter-Profiling hat diesen ziemlich genau bestätigt.
Vieles hat sich für mich dennoch enträtselt, etwa warum andere Athleten so anders auf dasselbe Training unter ähnlichen Umständen mit auf den ersten Blick nicht unähnlicher Muskelfaserverteilung reagieren - oder umgekehrt, warum andere Athleten mit völlig anderem Training dieselben Leistungen erreichen. Die Frage, was nun "besser" oder "schlechter" ist, hat sich somit an vielen Stellen für mich beantwortet - nämlich das, was individuell besser passt!
So viele Faktoren fließen in das "ideale" Training und die unmittelbare Wettkampfvorbereitung mit hinein, die Gewichtung der Neurotransmitter ist einer davon.
Hätte ich zu Beginn meiner sportlichen Laufbahn davon gewusst, es wären vermutlich sehr wohl ein paar Irrwege weggefallen.
Die Vorteile des Dopamin-Dominaten führen nämlich auch schnell zu Überlastungen - der Enthusiasmus über neu gesteckte Ziele und der Drang, akribisch daran zu arbeiten gehört definitiv dazu. Über die Jahre habe ich gelernt, mich bei aller Begeisterung für viele Disziplinen auch zu entscheiden, worin ich wirklich gut sein will, woran ich ernsthaft arbeite und woran bewusst nicht. Denn es braucht einfach auch Ruhe, um das Trainierte dann auch entsprechend zu verarbeiten.
Als aktuelles Beispiel fällt mir ein, dass ich in meinen Zwanzigern wohl fast besessen versucht hätte, beim Cyclocrossen weiter nach vorne zu kommen, ich hätte viel Technik trainiert, wäre aber vor allem Rennen völlig über meine Verhältnisse gefahren. Das hätte vermutlich in einer Verletzung geendet.
Jetzt nutze ich die Vorzüge dieser Disziplin, fokussiere aber im Training auf die für mich wichtigeren duathlonspezifischen Inhalte.
Ich brauche viel Variation im Training, um die nötigen Umfänge im Ausdauersport gut verkraften zu können. Dabei kommt mir der Multisport sehr entgegen - weder das Laufen, noch das Radfahren, noch das Krafttraining möchte ich in meinem Trainingsplan mehr missen!
Mir ist selbst schon aufgefallen, dass ich (im Gegensatz zu etwa Acetylcholin-Dominanten) weder echte Ruhetage, noch sehr deutliche Entlastungswochen und -monate brauche. Mir fällt es leichter, wenn ich die Inhalte etwas gleichmäßiger aufteile und mich so von den sehr intensiven Inhalten möglichst ausreichend erholen kann.
Mental habe ich keinerlei Schwierigkeiten, mich im nebligen November auf die Laufbahn zu stellen, wenn die nächste WM erst im September stattfindet. Aber 30h in einer Woche am Trainingslager - keine Chance mit mir :)
Typisch für Dopamin-Dominante musste ich mir die gute Fettverbrennung (welche für Ausdauerleistung nötig ist!) erst eher mühsam erarbeiten. Dafür hat es dann ein etwas höheres Trainingsalter gebraucht, als vielleicht bei anderen Athleten.
Besonders leicht gefallen ist mir dafür immer Sprint- und Maximalkrafttraining. Auf Letzteres spreche ich besonders gut an, muss aber auch mit der Dosis etwas aufpassen (zu viele Sätze in einem Training halte ich nicht mit entsprechender Qualität durch). Zur Hypertrophie kommt es sogar bei Wiederholungszahlen von unter 8 pro Satz.
Meinen Hang zu Suchtverhalten (war mir eigentlich gar nicht bewusst) lebe ich augenscheinlich völlig zufriedenstellend mit dem Essen von Kohlenhydraten aus - dazu gehört wohl auch eine "etwas" größere Tages-Zuckeraufnahme, als von der WHO empfohlen ... mir scheint es Dank hohem Verbrauch absolut nicht zu schaden. Interessant für Dopamin-dominante Veganer wäre etwa, dass ein besonders hoher Bedarf an den Vitaminen B6 und B12 besteht (betrifft mich persönlich jetzt aber nicht).
Die von mir besonders benötigten Eiweißbaustoffe sind besonders in Geflügel, Milchprodukten, Eiern und Schokolade (...) zu finden ... in intensiveren Trainingsphasen habe ich tatsächlich deutlich mehr Lust genau darauf (und ja, in ruhigeren Phasen habe ich tatsächlich dann kaum Lust auf Schokolade, während es sonst schon gerne 100g/Tag sein können :) ).
Man kann auch im eigentlich dominanten Neurotransmitter einen Mangel aufreißen. Im Falle einer Dopamin-Erschöpfung äußert sich das typischerweise in Wutanfällen, ausgesprochener Erschöpfung, Aggression. Ich erspare Euch jetzt den Seelenstriptease :D
Für den Sport relevant ist natürlich der wichtigste Gegenspieler, GABA. Als Dopamin-Dominanter neigt man halt eher dazu, die Regeneration zu vernachlässigen. Man kann sein Neurotransmitter-Profil nicht "umtrainieren" (würde ich auch gar nicht wollen, das macht ja meine Persönlichkeit schließlich aus!), aber man kann sich positive Eigenschaften anderer Botenstoffe sehr wohl zu Nutze machen. GABA-Typen sind meist organisatorisch sehr fit und intuitiv habe ich mir diese Fähigkeit angeeignet. Plane ich mein Training wie meine Wettkampfreisen lange im Voraus und geht alles in Ruhe seinen Gang, so regeneriere ich sehr gut. Weiß ich heute nicht, was morgen sein wird, macht mich das absolut unrund. Meditation und Yoga könnten mir ebenso helfen, entsprechen meinen Interessen aber eben so gar nicht. Da greife ich lieber auf Methoden der Muskelentspannung oder Atemübungen zurück.
Es gibt sicherlich so viele Facetten des Ganzen, die noch nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht und belegt sind - umso spannender ist es, das Thema über die nächsten Jahre zu verfolgen - auch in Bezug auf sportliches, individualisiertes Training!
Ich habe den Test bei Brigitte Stocker gemacht.