Krafttraining gegen Lauftechnikschwächen
In meinem Buch habe ich mein (vor allem laufspezifisches) Krafttraining beschrieben, aber auch dieses entwickelt sich ständig weiter. Besonders bei häufigen Lauftechnikfehlern gibt es einige Kraftübungen, die hilfreich sein können.
Ergänzend zu meinem Artikel Lauftechniktraining – Lauf-ABC vs. Lauftechnikcheckliste gehe ich hier jetzt auf hilfreiche Kraftübungen gegen häufige Lauftechnikschwächen ein.
Dies ist vor allem dann wichtig, wenn man die korrekte Lauftechnik unter Zuhilfenahme der eigenen Lauftechnikcheckliste zwar ansteuern, aber muskulär bedingt nicht lange halten kann. Auch helfen manche Kraftübungen, überhaupt erst die richtigen Muskeln ansteuern zu lernen.
Während man beim Lauftechniktraining von Kopf und Schwerpunktslage beginnend bis nach unten zum Fußauftritt korrigiert, so ist die Reihenfolge der Wichtigkeit des Kraftaufbaus eher von unten nach oben zu sehen (wobei die Übungen nicht in der Reihenfolge absolviert werden müssen).
Vorsichtig geschätzt haben bestimmt 95% der Läufer eine relative Schwäche im Unterschenkelbereich. Wir sind es gewohnt, unseren Alltag in schützenden und dämpfenden Schuhen zu bewältigen und dementsprechend schlecht sind unsere Füße auf das Laufen vorbereitet.
Beim Laufen sitzt der Motor sozusagen „vom Nabel abwärts“, wir haben also Hüft-, Knie- und Sprunggelenksstreckung als Antrieb zur Verfügung, außerdem können wir über die Drehzahl (=Schrittfrequenz) die Belastung beim einzelnen Schritt steuern (hohe Frequenz = geringerer Aufwand/Aufprall pro Schritt!).
Knapp zusammengefasst kann man also sagen, dass ein Drittel unseres Laufmotors bei den Meisten in Relation unterentwickelt ist – hier schlummern sehr große Reserven, den Antrieb zu verbessern, Verletzungen vorzubeugen (Dämpfungswirkung des Fußes!) und einen unökonomischen Laufstil durch Kraftverlust zu vermeiden.
Wadentraining
Wir haben beim Laufen einen verhältnismäßig schnellen Bewegungsablauf und wollen daher auch vor allem den schnellen Kraftoutput der Waden verbessern.
Hilfreich ist daher jegliche Art von
• Seilspringen (oder auch einfach ein- und beidbeinige Sprunggelenkssprünge ohne Seil)
• Wadenheben bevorzugt einbeinig, auch auf Stufe und auf der Beinpresse möglich, gleichermaßen bei gestrecktem und gebeugtem Knie (=unterschiedliche Anteile der Wadenmuskulatur werden angesprochen), die Aufwärtsbewegung sollte zügig sein, abwärts etwas langsamer (trainiert dann sehr laufspezifisch auch die Gegenspieler der sprunggelenksstreckenden Muskulatur), in der unteren Endposition sollte die Ferse noch relativ aufrecht sein (Überpronierer müssen hier aufpassen, auch darauf achten, dass die Kniescheiben mittig über dem Fuß bleiben, wenn man von oben schaut und nicht im X-Bein trainiert wird!)
Besonders wichtig bei: Fast alle Läufer brauchen intensives Wadentraining zur Verbesserung der Ermüdungsresistenz dieser fast immer in Relation zu schwachen Muskelgruppe, besonders aber bei noch nicht automatisiertem flachen Fußauftritt – also bei allen Fersenläufern, allen Läufern, die Schwierigkeiten haben, leise zu landen, Überpronierern (diese sollten aber gleichzeitig auch ein Beinachsentraining mit berücksichtigen) und bei „sitzendem Laufstil“
Beinbeuger
Die Beinbeuger-Muskulatur („Hamstrings“) neigen leider nicht nur zur Verkürzung (zu hoher Tonus führt dabei zu eingeschränkter Beweglichkeit), sondern auch zur Abschwächung – insbesondere in sitzenden Berufen.
Beim Laufen führt die Beinbeugermuskulatur gemeinsam mit der Gesäßmuskulatur dazu, dass der Fuß beim Auftritt bereits zurückschwingt. Ist er noch in der Pendelbewegung in Vorwärtsrichtung unterwegs, führt es meist zum harten Abbremsen auf der Ferse. Selbst bei flach oder vorfußlastig aufsetzenden Läufern kann das passieren, diese spüren dann meist ein Vorrutschen des Fußes im Schuh, außerdem kommt es zu einer früheren Überlastung der Wadenmuskulatur.
Zudem ist eine schwache Beinbeugermuskulatur besonders bei stark ausgeprägter Beinstreckermuskulatur ein häufiger Faktor für Knieschmerzen (=muskuläre Dysbalance).
Man kann die Beinbeugermuskulatur auch am Seilzug trainieren, die in meinen Augen einfachste und laufspezifischste Übung ist aber beid- und später einbeinig am Beinbeugergerät. Hier kann man auch sehr gut Maximalkraft auftrainieren.
• Beinbeugergerät liegend (beidbeinig beginnen, später einbeinig, auch gern Variationen wie 2 Sätze einbeinig, dann 2 Sätze beidbeinig mit entsprechend mehr Gewicht), Full Range of Motion wichtig (also Streckung und Beugung des Kniegelenkes nahezu ausreizen – bei der Kniestreckung den mobilisierenden Effekt nutzen und dabei Gewicht aber kontrolliert abbremsen, um keinesfalls mit Schwung in die Knie-Überstreckung zu kommen, die Beugebewegung sollte durchaus schnell ausgeführt werden)
• Hat man das Gerät nicht zur Verfügung, kann man es alternativ am Seilzug (dann nur einbeinig möglich) mit Knöchelmanschetten simulieren
• Kreuzheben ist ergänzend auch eine tolle Übung, vor allem die gestreckte Variante mobilisiert auch die Beinbeuger schön, allerdings ist die Bewegungsausführung weniger laufspezifisch
Besonders wichtig bei: weit vorschwingendem Fuß/Fußauftritt während des Vorschwingens/Fersenlauf, Radfahrern, die zum Laufen wechseln und allen anderen Läufern, wo schon optisch ein deutliches Missverhältnis zwischen vorderer und hinterer Oberschenkelmuskulatur auffällig ist, Kniegelenksschmerzen wie vorderem Knieschmerz
Gesäßmuskulatur
Die Hüftstrecker, allen voran der Gluteus maximus, ergänzen die Funktion der anderen Muskeln der hinteren Kette. Auch die Gesäßmuskulatur ist bei Vielsitzern gerne abgeschwächt, oder wird zumindest nicht schnell genug aktiviert. Wie bei der Aktivität der Beinbeuger ist ein früher Einsatz (vor dem Fußauftritt) wichtig, um das Bein während des Fußauftritts bereits zurückzuziehen und damit nicht ins Abbremsen zu kommen.
Seltener kommt es vor, dass Läufer mit einer schwachen Gesäßmuskulatur dies mit einer (für ihre Körpermaße und das gewählte Lauftempo) übertriebenen Schrittfrequenz kompensieren. Dann macht es Sinn, am Abdruck nach hinten zu arbeiten. Dies gelingt neben gezielten Lauftechnikübungen auch über eine Kräftigung der Muskulatur.
Die meisten Beinübungen trainieren gleichzeitig auch den Gluteus maximus, allerdings ist das frühzeitige Ansteuern der Hüftstreckung etwas, das nicht zwingend von selbst kommt und bewusst angesteuert werden sollte.
Die gezielteste Übung dafür ist die
• Hüftstreckung am Beinbeugergerät liegend, dafür rutscht man einfach „ein Gelenk tiefer“, die zu bewegende Rolle ist dabei nicht knapp oberhalb vom Sprunggelenk, sondern oberhalb vom Knie. Diese Übung funktioniert nur einbeinig, mit dem anderen Bein stützt man sich am Boden ab.
Andere laufspezifische Beinübungen eignen sich ebenso:
• Beinpresse
• Kniebeugen
• Kreuzheben
• Beckenheben mit Langhantel
Wie beim Training der Beinbeugermuskulatur sind Übungen am Gymnastikball und mit Eigengewicht für die erste Ansteuerung durchaus eine gute Vorübung, aber zum echten (Maximal-)Kraftaufbau taugen sie leider nicht. Im Reha- und erhaltenden Training mag das ausreichend sein, bei bestehenden Lauftechnikschwächen ist der Reiz meist deutlich zu gering.
Besonders wichtig bei: „sitzendem Laufstil“ und Laufen in Rücklage, weit vorschwingendem Fuß/Fußauftritt während des Vorschwingens/Fersenlauf
Beinachsentraining
Das klingt jetzt sehr therapeutisch, aber die Übungen kann man durchaus auch in höherem Anstrengungsgrad und damit direkt zur Steigerung der Muskelkraft nutzen.
Gemeint ist erstmal jede Übung, bei der man darauf achtet, mit der Kniescheibe mittig über dem Fuß zu bleiben. Klassisch sind das
• Kniebeugenvariationen (von klassischen Kniebeugen, über Sumo-Kniebeugen wo man besonders weit in die Hüftaußenrotation / „O-Bein“ gehen muss, um mit dem Knie überm Fuß zu bleiben, einbeinigen Varianten, bis zu Hilfsmitteln wie elastischen Bändern, die man um beide Beine oberhalb vom Knie wickelt und die Widerstand gegen die Stabilisierung der Beinachse liefern und somit Ansteuerung und Kraftanstrengung verbessern)
• Ausfallschritte (sowohl beim vorderen, als auch beim hinteren Bein sollte die Kniescheibe eher geringfügig nach außen und keinesfalls nach innen schauen)
Aber auch alle anderen Beinübungen wie
• Beinpresse, wo man penibel darauf achtet, mit der Kniescheibe mittig überm Fuß zu bleiben
Die Ansteuerung der korrekten Beinachse erfolgt durch Auswärtsdrehung des gesamten Oberschenkels, also durch die Hüftaußenrotatoren. Diese steuert man meist gleichzeitig und ganz gut an, wenn man die Abduktoren kräftigt und dabei das „Kniescheiben nach außen“ besonders betont.
Hier gibt es die Möglichkeit der
• Abduktorenmaschine sitzend
• Abduktorentraining mittels Seilzug oder Theraband
Generell ist es beim Beinachsentraining aber wichtig, langfristig, bei guter Beherrschung der Übungen, mit hohen Lasten Richtung Maximalkraftentwicklung zu trainieren. Niederschwellige Kraftreize bewirken nämlich nur zu Beginn eine Verbesserung der Ansteuerung, den besten Effekt auf die Motorik hat das Maximalkrafttraining. Dazu ist es als Einziges beim Erwachsenen in der Lage, auch fasziale Strukturen „umzubauen“. Wir haben ja über unser fasziales System eine Art „Schienung“ (nicht nur der) Beinachse und innerhalb dieser weitestgehend passiven Strukturen arbeiten unsere Muskeln. Diese ermüden im Gegensatz zu faszialen Strukturen aber viel schneller. Am Ende eines Trainings hängen wir also buchstäblich „in den Seilen“ – damit sind die faszialen Strukturen gemeint. Ist diese Schienung biomechanisch korrekt, so wird es auch bei Ermüdung zu viel weniger Instabilität kommen. Dies ist insbesondere für Hypermobile von großer Bedeutung (Dehnen/Mobilisieren nur dort, wo es nötig ist, ansonsten Fokus auf Krafttraining legen!).
Besonders wichtig bei: Instabiler Beinachse (X-Bein, „rotierende Unterschenkel“), Überpronation (diese kommt fast immer aus einer instabilen Beinachse)
Rumpfstabilität
Wir brauchen bei ökonomischer Lauftechnik kein Übermaß an Rumpfkraft, aber gerade wenn die Haltung im Alltag schon eher schlecht ist, wird sie bei Ermüdung beim Laufen tendenziell noch schlechter.
Wichtig ist es, auf individuelle Haltungsschwächen einzugehen, zum Beispiel empfiehlt sich ein individuell vom Physiotherapeuten angepasstes Kraft- und Mobilisierungstraining bei einem bestehenden Rundrücken oder gar Rückenschmerzen.
Ansonsten bin ich aber ein großer Fan von Langhantelübungen, die ein gutes Ganzkörpertraining darstellen und damit viel Zeit sparen – man trainiert die beim Laufen stark benötigte Beinkraft und übt die Stabilisierung im Rumpf „ganz nebenbei“ gleich ausreichend mit. Laufen ist dynamisch, wir müssen im Rumpf die Pendelbewegung der Beine ausgleichen – ein statisches Rumpftraining erfüllt diese Anforderung nicht.
Korrekt ausgeführt bieten sich an
• Kniebeugen
• Ausfallschritte
• Kreuzheben
Man sieht, diese Übungen tauchen hier schon wiederholt auf und man erreicht mit einer Übung gleich mehrere Trainingsziele.
Besonders wichtig bei: Generell wenig Körperspannung, hypermobilen Läufern, Sporteinsteigern
Die Beweglichkeit ist beim Laufen nur in wenigen Bereichen ein Hindernis für die Bewegung, jedenfalls ist das aber beim Hüftbeuger häufig der Fall. Dieser adaptiert an das viele Sitzen und hat das Potenzial, den Läufer in einen „sitzenden Laufstil“ zu zwingen. Das passiert nicht zuletzt auch bei Radfahrern, die auch in einer gebückten Haltung einen großen Kraftaufwand erbringen. Beim Laufen aber müssen wir im Hüftbereich selbst bei langsamem Tempo und hoher Frequenz, also wenig Abdruck nach hinten, trotzdem eine gewisse Streckung zulassen, ansonsten zieht uns der Hüftbeuger nach unten und übt gleichzeitig viel Spannung auf die Lendenwirbelsäule aus.
Die Satzpausen beim Krafttraining eignen sich perfekt für das Mobilisieren. Beim Hüftbeuger wäre das unter anderem der Ausfallschritt als Dehnübung.
Auch ungewohnte Kraftübungen führen meist zu einem höheren Muskeltonus („Verkürzungen“), daher gehören neben der Hüftbeugerdehnung auch noch Waden-, Hamstrings-, Gesäßdehnung und Dehnung des vorderen Oberschenkels zu den Klassikern.
Neben der Entwicklung der (Maximal-)Kraft und damit der guten motorischen Ansteuerung ist es aber auch wichtig, diese Fähigkeiten dann beim Laufen zu automatisieren. Das gelingt dann mit den Tipps aus dem zu Beginn verlinkten Artikel.
Günstige vs. Ungünstige Übungen
Hier kann man natürlich keine vollständige Aufzählung erreichen. Aber das Prinzip für den Läufer ist klar
• Masseaufbau nur soweit nötig
• Schnelle Ansteuerung der Bewegungen (Schrittfrequenz wird immer schneller sein, als jede Kraftübung, insofern machen statische Übungen und generell langsame Übungsausführung nur eingeschränkt Sinn)
• jegliche Form von Sprungübungen (auch gesprungene Kniebeuge, BoxJumps, …)
• Sobald Übungsausführung gut beherrscht wird, Fokus auf Maximalkrafttraining (Ansteuerung wird verbessert, wenig Masseaufbau, Einfluss auf fasziale Strukturen)
• Konzentration auf laufspezifische und Ganzkörperübungen, welche der Gesunderhaltung dienen
• Übungsausführung ähnlich wie bei der Laufbewegung benötigt (Verwendung der Beinpresse anstatt der Beinstreckermaschine)
• Schultertraining nur soweit zur Gesunderhaltung oder für andere Sportarten nötig, starker Masseaufbau und hoher Tonus führt zu weniger ökonomischer Lauftechnik und hohem Energieverbrauch
Mein aktuelles Krafttraining
• 15min Einlaufen draußen
• Hängen an Klimmzugstange (gegen Rundrücken), Beinschwingen
• Latziehen mit Betonung des Tiefziehens der Schulterblätter oder Rudervariation (1mal 6-12 Wiederholungen)
• Wadenheben einbeinig am Balanceball, auf der Stufe bei gestrecktem und gebeugtem Knie (jeweils 1mal 12 Wiederholungen)
• Sprunggelenkssprünge einbeinig hoch / vor-zurück / links-rechts / mit Langhantel hoch (jeweils 1mal 6-12 Wiederholungen)
• Boxsprünge (3-4mal 6 Wiederholungen)
• Kniebeugenvariationen (tiefe Reißkniebeuge, klassische Kniebeuge, gesprungene Kniebeuge, 2-4mal 6 Wiederholungen)
• Kreuzhebenvariationen (gestreckt und klassisch, 2-4mal 6 Wiederholungen)
• Hüftstreckung am Beinbeugergerät liegend (3-4mal 3-6 Wiederholungen)
• Beinbeugergerät liegend (3-4mal 3-6 Wiederholungen)
• Beinpresse geteilt (3-6mal 3-6 Wiederholungen)
• Wadenheben auf Beinpresse geteilt (3-6mal jeweils 6 Wiederholungen mit gestrecktem und mit gebeugtem Knie)
• 5min Auslaufen am Laufband
• Faszienrolle Ganzkörper + VibraPlate
Man sieht also, im Oberkörperbereich mache ich oft nur einen Satz mit etwas mehr Wiederholungen mit Fokus auf korrekte Ansteuerung, während ich im Beinbereich 3-6 Sätze mit Fokus auf Maximalkraft mache.
Die Satzpausen nutze ich zum ausgiebigen Mobilisieren, vor allem von Hüftbeuger und der gesamten hinteren Beinkette (Gesäß, hinterer Oberschenkel, Wade).