Kontinuierliche Glukosemessung im (Hoch-)Leistungssport
Teil III – Langzeit-Zuckerwerte und Vergleich mit anderen Messmethoden
Was in der Überwachung von Diabetikern essentiell ist, der sogenannte „Langzeitzucker“, ist für den Sportler eine nette Zusatzinformation.
Gemessen wird dieser im Blut in Form des Ersatzparameters HbA1c – also der Anteil der mit Glukose „blockierten“ Hämoglobin-Moleküle.
Ganz grob liegt dieser Wert üblicherweise zwischen 4 und 6%, also soviel fehlt uns dann im Endeffekt für den Sauerstofftransport (weil Glukose statt Sauerstoff gebunden wird). Ab 5,7% spricht man von Prädiabetes, hier ist der Blutzucker über die letzten Wochen bereits etwas erhöht.
In der kontinuierlichen Blutzuckermessung muss man nicht auf diesen Ersatzparameter zurückgreifen und berechnet direkt das Pendant dazu – genannt wird er GMI, ebenso in % angegeben.
Jetzt könnte man nach den vorangegangenen zwei Artikeln zum Thema Glukosemessung davon ausgehen, dass der HbA1c-, beziehungsweise der GMI-Wert bei Sportlern mit entsprechend hoher Kohlenhydratzufuhr auch entsprechend hoch ist.
Umgekehrt könnte es aber auch sein, dass die Werte aufgrund von Mangelversorgung mit Kohlenhydraten (wie beispielsweise bei RED-S) für das sportliche Level ungewöhnlich normal/niedrig ausfallen. Bei mir hat beispielsweise ein sinkender GMI (rollierender Durchschnittswert über die letzten 7 Tage) dazu geführt, dass mir dann im Training merklich "der Saft" ausgegangen ist. Hier muss dann entsprechend gegengesteuert werden.
Bei mir jedenfalls gleichen sich HbA1c und GMI allerdings in keinster Weise – die Gründe hierfür liegen in der Messmethodik begründet. Es kommt nämlich darauf an, wo man den Blutzucker misst –direkt im (Kapillar-)Blut wie es bisher üblich war oder im sogenannten Interstitium (=flüssigkeitsgefüllter Bereich zwischen den Zellen) wie bei der kontinuierlichen Glukosemessung.
Liest man sich in das Thema ein, wird aktuell selten zwischen den unterschiedlichen Messmethodiken differenziert, wenn es um „gesunde“ Blutzuckerwerte geht. Im Grunde wird auch für kontinuierliche Messung im Interstitium übernommen, was man aus der Messung im Blut kennt. Ich war erstmal überrascht, in welchen scheinbar „ungesunden“ Sphären meine momentanen Glukosewerte und dann auch der GMI mit 5,9% so unterwegs sind und habe – nachdem mein HbA1c-Wert mit 5,3% letzten Sommer und 5,0% letzten Winter im völlig gesunden Bereich lag, erstmal die Messtechnik angezweifelt.
Daher habe ich sowohl die Werte im stabilen Zustand (beispielsweise nüchtern in der Früh) als auch die Peaks nach Mahlzeiten mit einem handelsüblichen Messgerät für Kapillarblut aus dem Finger gegengecheckt.
Während im Blutzucker-Steady-State die Abweichungen sehr gering (immer <10%, meistens <5%) waren, konnte ich die Peaks selbst mit engmaschiger Parallelmessung alle 5min nicht abbilden. Die Maximalwerte der Fingermessung lagen mehr als 30mg/dl (!) unter den jeweiligen Peaks der kontinuierlichen Glukosemessung. Der Körper wird den Blutzucker also relativ schnell los, dieser steht dann im Zellzwischenraum zur Verfügung, wo er nach und nach aufgenommen wird. Die genauen zeitlichen Verläufe und Zusammenhänge müssen noch näher untersucht werden, aber man kann schonmal sagen, dass die beiden Messmethoden nicht (!) zu identen Ergebnissen führen.
Aus meiner Sicht ist die Messung im Interstitium für den Sportler sogar die Relevantere (denn wir wollen ja wissen, ob unserer Arbeitsmuskulatur genug Energie zur Verfügung steht), während Diabetiker im Vergleich zur früher gewohnten Fingermessung etwas umdenken müssen (hier geht es ja darum, ungesunde bis gefährliche Entwicklungen des Blutzuckers rechtzeitig abzufedern - ein gesunder Körper macht das ganz von alleine).
Will man die Werte aus gesundheitlicher Sicht betrachten, würde ich auf alle Fälle die herkömmliche und „gut beherrschte“ Variable HbA1c im Blut messen und wenn es hier keine Auffälligkeit gibt, erstmal entspannt bleiben, auch wenn in der kontinuierlichen Messung besonders bei Sportlern mit großen Mahlzeiten auch hohe Werte auftreten, die dann eben auch zu einem hohen GMI führen.
Auch wenn ich im metabolisch gesunden Bereich unterwegs bin, sind manche Effekte temporär dennoch ungünstig, speziell den Schlaf betreffend. Nach Mahlzeiten braucht es rund 1,5-2h bis sich der Blutzucker eingependelt hat und geht man in dieser Zeit schlafen, so kommt es bei mir eher zu „chaotischen“ Effekten – die Feinabstimmung der blutzuckerregulierenden Hormone scheint hier weniger gut zu funktionieren und es kommt eher zu auffälligen Plateaus (auch mal eine Stunde nach dem Einschlafen über 60min 130mg/dl …) oder auch Unterzuckerungen. Diese passieren übrigens auch eher nach „untypischen“ Tagesabläufen, wie Wettkämpfen mit unregelmäßigen/ungewohnten Essenszeiten und – mengen.
Ich vermute auch, dass der Cortisolspiegel hier eine tragende Rolle hat – je mehr körperlichen oder physischen Stress ich hatte, desto „unkontrollierter“ wurde auch meine Blutzuckerkurve. Das ist auch für alle, die abnehmen wollen (hier sind extreme Schwankungen tendenziell ungünstiger, weil auch Heißhunger eher auftritt), eine wichtige Erkenntnis.
Auch führt sehr intensives Training inklusive dem Wiederauffüllen der Speicher per se zu einem gewissen Stress – besonders wenn man während der Trainings zu wenig Kalorien aufgefüllt hat (ein weiterer großer Faktor für Heißhunger). Hier gilt es, abzuwägen. Leidet man schon stark unter schlechtem Schlaf, so können veränderte Gewohnheiten einen enorm positiven Effekt auf Erholung und Trainingseffekt haben. Je nach Zielsetzung können die Empfehlungen leichter oder weniger leicht umsetzbar sein. Diese wären
• Vermeidung hoher Glukosepeaks 2h vor dem Schlafengehen
• „Cortisolfreundlicheres“ Training (Trainingsdauer <3h, gute Verpflegung, kurze und intensive Einheiten sowie Krafttraining, beides mit ausreichend Erholung dazwischen)
• Eventuell Umstieg auf Training in der Früh statt am Abend
Welche Hebel im Einzelfall effektiv sind, muss man ausprobieren.
Auffällig war auch, dass nach mehreren Tagen mit scheinbar „gesünderem“ (niedrigerem) Blutzuckerspiegel (und GMI) das Hungergefühl und der gefühlte Energiemangel beim Sport immer größer wurden. Erst nach mehr als einem Tag mit erhöhten Durchschnittswerten war ich wieder voll belastbar. Es ist also tatsächlich schwierig, sein Körpergewicht bei gleichzeitig guter Versorgung der Trainings zu reduzieren (ich hatte das aber ohnehin nicht zum Ziel!).
Auch ein nur gemäßigter Anstieg des Glukosespiegels während intensivem Training (trotz Kohlenhydratzufuhr) wird als Indikator für Übertraining diskutiert. Der Körper schafft hier die Mobilisierung nicht mehr.
Erweiterten Einblick liefert der komplette Absatz “Hypo- and Hyperglycemia in Endurance Athletes” aus einer im September 2023 erschienenen Meta-Analyse – hier wird aber eben leider nicht (!) auf die unterschiedlichen Messmethodiken eingegangen und in meinen Augen ein zu kritisches Auge auf physiologische Abläufe beim Gesunden (!) geworfen.
Man muss die Erwartungshaltung an die Glukoselevel je nach Trainingszustand (es vergrößern sich die Glukosespeicher durch Ausdauertraining, daher mehr Mobilisation möglich), Genetik (schnellkräftiger Athlet mobilisiert leichter als ein Ausdauertyp, auch ein durchschnittlicher Mann hat mehr Muskelglykogen als eine durchschnittliche Frau) und aktueller sportlicher Belastung (je intensiver, desto mehr Glukosemobilisation) anpassen und kann nicht dieselben Ergebnisse wie beim Untrainierten erwarten.
Leider sind die Studien zu dem Thema und vor allem die Größe der Probandengruppen (oft nur 1 Proband in der Versuchgruppe vs. 1 Proband Kontrollgruppe) ziemlich „dünn“. Es scheint aber, dass die Blutzuckerwerte höher sind, je besser austrainiert ein Athlet ist.
Umgekehrt ist aber auch die Wettkampfdauer relevant – je länger die Belastungen, desto besser schützen sie vor Problemen der metabolischen Gesundheit und damit auch vor Diabetes (siehe hier).
Supersapiens als Anbieter von kontinuierlicher Glukosemessung für Sportler hat dazu selbst eine kleine Studie gemacht:
Average glucose levels during exercise
• Beginner 102mg/dl ± 14
• Intermediate 105mg/dl ± 13
• Advanced 107mg/dl ± 12
• Expert 112mg/dl ± 12
Weiters hatten Männer mit 100mg/dl ± 11 höhere 24h-Durchschnittswerte als Frauen mit 96mg/dl ± 10. Während Belastung hatten Männer ebenso höhere Werte (siehe Studie)
Hier wird wiederum deutlich, dass man sich keinesfalls verrückt machen lassen sollte. Wenn man nach anderen Erfahrungsberichten sucht, findet man oft Erzählungen von Leuten, die dann wirklich 24/7 fast schon zwanghaft gesund leben wollen und bestimmte Blutzuckerwerte nicht überschreiten wollen. Diese Empfehlungen ergeben sich aber eben oft aus einer ganz anderen Messmethodik und mit einem anderen Probandenkollektiv!
Ich will in erster Linie zufrieden sein und dazu gehört für mich auch, etwas entspannter mit Ernährung und in meinem Fall eben Zuckerkonsum umzugehen. Man sollte dankbar sein, kein insulinpflichtiger Diabetiker zu sein und seiner gesunden Bauchspeicheldrüse zu vertrauen, dass sie ihren Job schon gut macht.
Die immer wieder auftretenden katabolen (=abbauenden) Stoffwechselprozesse beim (Langzeit-)Ausdauersport scheinen ja auch trotz immer wieder höherem Blutzuckerspiegel sehr gut schützende Effekte hinsichtlich Insulinsensitivität und Vorbeugung von Diabetes Typ II zu haben.
Was ich jedenfalls abschließend sagen kann, ist, dass sich der Glukosewert im Blut als sehr aussagekräftiger Parameter hinsichtlich sportlicher Leistungen erwiesen hat. Während ein niedriger oder hoher Puls viel bedeuten kann, so waren hohe Glukosewerte immer mit guten Trainings und niedrige Werte (gern auch im Vorfeld) mit schlechten Trainings verknüpft. Die Beeinflussung dieser Werte ist allerdings ein ganz, ganz großes und sehr komplexes Thema.
Die Werte im Grundlagenbereich waren jedenfalls vom Füllzustand der Speicher abhängig. In den zwei Tagen nach einem Bewerb war ich beim lockeren Grundlagentraining teilweise unter 100mg/dl, ohne einen Einbruch zu haben. In besser gefüllten Phasen war ich eher bei um die 120mg/dl. In Relation war mit geringer gefüllten Speichern die Fettverbrennung dominanter, aber auch die Leistungsfähigkeit etwas schlechter (wobei das nach einem Bewerb natürlich auch zu erwarten ist!)
Zum Thema „Schwankungen durch den weiblichen Zyklus“ kann ich nicht wirklich etwas sagen. Im Testzeitraum war zunächst die Trainingsbelastung sehr hoch und wurde dann etwas zurückgenommen, um wöchentlich ausbelastende Wettkämpfe zu absolvieren. Bei der Reaktion auf Training und Essen waren keine Veränderungen erkennbar. Der Theorie nach sollte die Insulinsensitivität um den Eisprung herum besser und gegen Zyklusende schlechter sein. Dies kann beispielsweise zu einem Leistungshoch um die Zyklusmitte (den Eisprung) herum führen, weil der Arbeitsmuskulatur die Glukose gut zugänglich gemacht wird.