Kontinuierliche Glukosemessung im (Hoch-)Leistungssport

Teil I - Grundlagen – Was ist „normal“? Sportler vs. Gesamtbevölkerung

Ein gesunder Basis-Blutzuckerspiegel pendelt sich üblicherweise zwischen 90 und 110mg/dl ein. Allerdings schafft es der Körper nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten ohne körperliche Aktivität danach nicht, die durch die Verdauung ins Blut aufgenommene Glukose sofort auszugleichen und es kommt zu einem Blutzuckerpeak. Der Abbau dauert beim Gesunden rund 45-60min.

Wie funktioniert dieser Mechanismus?
Insulin aus der Bauchspeicheldrüse reduziert den Zucker im Blut, indem es ihn in Muskelzellen und Leberspeicher wandern lässt („Glykogenspeicher“). „Stresshormone“ wie Adrenalin und Cortisol, haben neben dem Glucagon als Gegenspieler zum Insulin den gegenteiligen Effekt und setzen gespeicherte Glukose ins Blut frei, damit es dann wiederum den (Muskel-)Zellen zur Verfügung steht.
Sind die Glykogenspeicher (davon sind etwa 1/3 in der Leber, 2/3 direkt in der Muskulatur, je nach Trainingszustand finden sich 300-750g in der Literatur) voll, entspricht dies einer Energiemenge von 1200 bis zu satten 3000kcal. Das sollte eigentlich für mehrere Stunden Sport reichen, zumal wir ja auch Energie aus dem Körperfett beziehen können.

Wie kommt es dann zu den berühmten 90min im intensiveren Bereich, wo wir mit unseren Speichern gerade so auskommen sollen?
Das Problem sind hier die vielen Freiheitsgrade (man kann weder die exakte Größe der Glykogenspeicher beim Individuum messen – eine zierliche und kleine Läuferin wird schon staturbedingt nicht auf so hohe Werte kommen, wie ein großer Mann mit viel Muskelmasse, auch der genaue Füllzustand der Speicher ist unbekannt) und die Tatsache, dass der Körper sich immer Reserven zurückbehalten möchte und viel früher als scheinbar nötig Signale zur Drosselung der Leistung sendet. Daher ist schon das Ausreizen der 90min riskant und als Wettkampfstrategie nicht zu empfehlen.
Eine grobe Abschätzung des Füllzustandes nach dem Carboloading ergibt sich aus dem (schwankenden) Körpergewicht – da Glykogen stark hygroskopisch (wasseranziehend) ist, lagert man mit 1g Glykogen 3,7g Gesamtgewicht ein (viel Trinken ist daher essentiell, außerdem ordentliche Mengen Kalium, nämlich knappe 20mg pro Gramm Glykogen).
Geht man ganz grob davon aus, dass in einem intensiven Trainingsblock die Speicher nur mehr halbvoll sind, ergibt sich bei einem gut trainierten Sportler mittlerer Statur und angenommenen 600g Speicherkapazität eine Differenz von 300g. Im Carboloading würde man in diesem Fall etwas mehr als 1kg „zunehmen“ und 6g Kalium (ein bei Sportlern immer noch unterschätztes Mineral) benötigen. Deshalb eignen sich auch Bananen und Kartoffeln fürs Carboloading gut (um die 0,4g Kalium / 100g, gemeinsam mit Gemüse und evtl. etwas Kaliumsalz in der Sporternährung lässt sich der Bedarf gut decken).
Im Extremfall bei sehr großen Speichern und einer fast vollständigen Entleerung vor dem „Aufladen“ kann sich die Gewichtsdifferenz auch Richtung 3kg bewegen und entsprechend ist dann auch die dreifache Kaliummenge vonnöten.
Hier wird klar, dass das nicht „von heute auf morgen“ möglich ist und der Körper idealerweise eine halbe Woche Zeit dafür bekommen sollte.
Grundsätzlich kann man als Faustregeln für die Ladephase ansehen:
2-3 Tage sehr hohe Versorgung mit Kohlenhydraten - 10g/kg Körpergewicht zusätzlich zu den beim Training Verbrauchten (in meinem Fall müsste ich etwas über 2000kcal/Tag allein aus KHs zuführen, daher bleiben nur mehr rund 1000kcal für die Versorgung mit Fetten und Eiweiß – hier wird klar, dass das keine Dauerlösung ist)
lockeres Training verbessert die Einlagerung, daher währenddessen und direkt davor/danach sehr gut versorgen

Reichen hingegen die Glykogenspeicher für die Belastungsintensität oder –dauer nicht aus (unzureichender Füllzustand bei zu wenig Tapering auch vor kürzeren Wettkämpfen kann mitunter ein Grund sein), stellt unter anderem die Leber aus Muskeleiweiß neue Glukose her (kataboler, also abbauender Stoffwechselzustand). Insulin hingegen ist ein anaboles Hormon – es führt also unter anderem auch zum Aufbau von Muskelzellen.

An sich ist ein hoher Blutzuckerspiegel also eher leistungsförderlich – mit einem großen ABER: ein dauerhaft hoher Glukosespiegel wäre schädlich für den Stoffwechsel, deshalb soll er möglichst schnell in die Zellen transportiert werden. Bei einer Mahlzeit mit vielen Kohlenhydraten, die schnell ins Blut gehen erwischt der Körper aber die richtige Insulinmenge nicht genau und so schnell wie der Blutzucker gestiegen ist, fällt er dann auch wieder – gern auch mal unter das Ausgangsniveau. Dann ist man im „Zuckertief“ (eigentlich „Post-Zucker-Tief“!) und die Leistungsfähigkeit ist erstmal dahin. Ein eher stabiler Blutzuckerspiegel führt also zu etwas stabilerer Leistung – im Alltag und beim Sport.

Ein wichtiger Parameter in dem Zusammenhang ist die Insulinsensitivität. Sie sagt aus, wie sensibel die Körperzellen auf das Hormon Insulin reagieren, also wie viel Insulin für dieselbe Wirkung (Aufnahme von Glukose in die (Muskel-)Zellen) vonnöten ist. Ist die Sensitivität hoch, steht der Muskulatur mehr an leicht nutzbarer Energie zur Verfügung, ist die Sensitivität niedrig (temporäre oder dauerhafte Insulinresistenz), muss die Bauchspeicheldrüse für einen ähnlichen Effekt mehr arbeiten und der Blutzucker sinkt etwas langsamer. Passiert dies beispielsweise im Rahmen des weiblichen Zyklus, ist dies physiologisch, also normal. Passiert dies dauerhaft, wie es bei der Entwicklung von Prädiabetes, beziehungsweise Diabetes mellitus Typ II der Fall ist, „ermüdet“ die Bauchspeicheldrüse und kann ihre Funktion nicht mehr ausreichend erfüllen.

Was beeinflusst, ob der Blutzucker eher stabiler ist oder Achterbahn fährt?
Tatsächlich ist dies sehr individuell (nicht jeder reagiert auf jedes Lebensmittel gleich), es ist aber auch von den jeweiligen Umständen abhängig. Je höher der Momentanverbrauch des Organismus (direkt beim Training oder unmittelbar danach), desto weniger Insulin braucht es, um den Blutzuckerpeak abzubauen, beziehungsweise wird der Anstieg an sich schon moderater ausfallen. Dafür wird aber die gesamte glykämische Last (Verfügbarkeit und Menge von Kohlenhydraten) einer Mahlzeit bei jemandem, der sich mehr bewegt, aufgrund des höheren Gesamtkalorienbedarfs ebenso höher ausfallen. Abmildern kann man die Peaks nach großen Mahlzeiten über einen kleinen Spaziergang danach, aber an sich ist die gute Verfügbarkeit von Glukose im Blut Bedingung dafür, dass auch genug eingelagert werden kann!
Jemand, der nur moderat und für die Gesundheit Sport betreibt, wird daher tendenziell leichter einen stabilen Blutzuckerspiegel erreichen können, als ein (Hoch-)Leistungssportler, der darauf angewiesen ist, bei hoher Belastung gut versorgt zu sein und nach dem Sport die Speicher schnell wieder aufzufüllen.

Auf Seiten der Lebensmittel gibt es typische „Verdächtige“ für einen schnellen Blutzuckeranstieg. Das sind leicht verdauliche Kohlenhydrate wie Zucker, Erdäpfel, Reis, Weißmehlprodukte, weich gekochte Nudeln – und das vor allem dann, wenn davor wenig andere Makronährstoffe wie Eiweiß und Fette gegessen wurden.
Obwohl ich eigentlich schon vielfältig kombiniere, weder eiweiß- noch fettarme Mahlzeiten habe und mit Ausnahme von Erdäpfeln und manchmal weißen Reis fast nur al dente gekochte Vollkornnudeln und andere Vollkornprodukte sowie (Pseudo-)Getreide als Beilage esse, kommt es bei mir nach dem Abendessen zu extremeren Peaks (160 bis sogar 220mg/dl, Letzteres nach Erdäpfelsalat …). Das hat mich dann doch überrascht, wird doch zumindest der Normalbevölkerung anderes empfohlen. Die glykämische Last und aufgrund der Portionsgröße als Sportler halt eben doch beachtlich.
Für einen stabileren Blutzucker ist es sinnvoll, zuerst Eiweiß und Fette zu essen und die Kohlenhydrate erst hinterher. Die Nachspeise hingegen ist dann fast schon egal. 100g Schokolade machen bei mir wirklich überhaupt keinen Unterschied, wenn ich sie unmittelbar nach dem Mittag- oder Abendessen noch „nachschiebe“.

Einen deutlich erkennbaren Einfluss hat resistente Stärke (eine Art von Ballaststoff), sie entsteht beim Abkühlen von stärkereichen Lebensmitteln (typische Beilagen wie Getreide, Nudeln, aber eben auch Kartoffeln, die bei mir besonders gepeaked haben). Kocht man diese vor und isst sie (auch Aufwärmen ändert daran nichts) erst am nächsten Tag, so steigt die Glukose deutlich langsamer an und der Peak ist weitaus nicht so extrem. Ich habe nach ähnlicher Menge Kartoffeln einen um ungefähr 50mg/dl (!) niedrigeren Peak gehabt, wenn das Kochen schon am Vortag erfolgt ist.
Darüber hinaus ist die resistente Stärke ein wichtiges „Futter“ für die günstigen Darmbakterien (deshalb auch in Kombination angeboten) und kann daher auch als Pulver zugeführt werden, wenn die Zeit zum Vorkochen gefehlt hat.
Dennoch ist vor allem die Bedeutung der Eiweißversorgung hervorzukehren, weil sie im Gegensatz zu (auch gesunden!) Fetten einfach nicht so viele Kalorien liefert, aber sehr stark sättigt. Hier habe ich das Thema ausführlichst beleuchtet.

Doch ist ein instabiler Blutzuckerspiegel überhaupt problematisch?
Nicht generell. Der (gesunde) Körper kann vor allem mit zyklischen Wechseln gut umgehen - denn nicht zuletzt muss man erwähnen, dass trotz der hohen Blutzuckerspitzen (nach dem Essen) und –plateaus (bei hochintensivem Training) Ausdauersportler gut vor Diabetes mellitus Typ II geschützt sind. Wenn wir die Speicher schnell füllen wollen, müssen wir für einen hohen Glukosespiegel sorgen. Im Gegensatz dazu sind wir bei längeren Ausdauertrainings auch immer wieder in einem katabolen Stoffwechsel unterwegs, beziehungsweise kurbeln wir die Autophagie (Zellerneuerung) dabei an, was wiederum die temporär hohen Zuckerwerte gut zu kompensieren scheint.
Manche allerdings haben durch zu starke Schwankungen Probleme wie (temporäre) Unterzuckerung und damit Leistungseinbrüche oder schlafen schlecht nach kohlehydratreichen Mahlzeiten am Abend.
Hier gilt es dann, die individuell sinnvollste Vorgehensweise mittels kontinuierlicher Glukosemessung und Experimentieren mit Lebensmitteln sowie dem Zeitpunkt der Zufuhr herauszufinden. Die Messung gibt Aufschluss darüber, wo die „Stolperfallen“ liegen und welche Verhaltensweisen hinsichtlich Blutzucker unproblematisch sind.

Das Problem an Blutzuckerspitzen ist auch, dass sie entzündungsförderlich wirken können. Ist man in dem Bereich schon eher schlecht aufgestellt (nachweisbares CRP im Blut, „Stille Entzündungen“) schafft es der Körper nicht mehr, die im Rahmen des Trainings und Alltags notwendigen Reparaturprozesse ausreichend zu leisten.
Auch dann lohnt es, einen etwas gleichmäßigeren Blutzuckerspiegel anzustreben.

Zu dieser Artikelserie möchte ich einen wichtigen Punkt vorausschicken - wenn jemand Probleme mit dem Essensthema hat – eine (zurückliegende) Essstörung, Neigung zur Orthorexie (übermäßiges Bestreben, „gesund“ zu essen, Lebensmittel werden in „gut“ und „schlecht“ eingeteilt) oder – als Sportler – das schlechte Gewissen plagt, nur weil man eine ganze Tafel Schokolade gegessen hat:
Macht so ein Selbstexperiment nur begleitet durch jemanden, der schon Erfahrung damit hat. Wichtig auch – verzichtet aufs Googeln von „guten“ Blutzuckerwerten und Erfahrungsberichten - es findet sich so viel im Netz, wo ich meinen würde, das geht schon Richtung übertriebene Kontrolle.
Ein gesunder Körper muss nicht permanent in irgendwelchen Referenzbereichen bleiben und unter bestimmten Voraussetzungen (Sport, Carboloading) ist das auch überhaupt nicht wünschenswert.
Sieht man sich viele Erfahrungsberichte im Netz an, wo die Sportler eher ratlos sind und nicht wissen, was sie mit den Daten anfangen sollen, macht das ohnehin immer Sinn, sich hier jemanden zu Rate zu ziehen, der im „State of the Art“ bereits drinnen ist und Erfahrung damit hat, auch einen individuellen Nutzen aus der Messung zu ziehen.

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