Cortisol und „Silent Inflammation“

In den früheren Artikeln zum Thema Ernährung und Nährstoffversorgung habe ich ausführlich erklärt, warum Referenzwerte in Blutbildern mit Vorsicht zu interpretieren sind (nicht immer „alles ok“ falls innerhalb der angegeben Bereiche oder sofort „Feuer am Dach“ falls außerhalb).
Zum einen sind die Grenzen bis zu einem gewissen Grad „beliebig“ und darüber hinaus auch nicht konsistent zwischen den Laboren. Man muss sich die Parameter auch immer in der Zusammensicht und mit der Vorgeschichte, dem Alter, den Zielsetzungen (Sportler vs. Normalbevölkerung) und vielem mehr ansehen. Wir Trainierende haben einfach eine ganz andere Erwartungshaltung an die Adaptionsfähigkeit und die Regeneration, als jemand, der im „Erhaltungsmodus“ vorwiegend einen sitzenden Lebensstil pflegt.

Ein ins Bewusstsein gerückter Faktor für einen gesunden (Sportler-)Körper ist das Ausmaß von chronischen Entzündungen - gemessen durch den CRP-Wert (C-reaktives Protein). Es ist essentiell, diesen bei jedem Blutbild mitzubestimmen (ansonsten ist z.B. auch der Eisenstoffwechsel nur eingeschränkt beurteilbar), im Idealfall ist dieser unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze. Dieser Parameter ist sehr sensibel wie auch unspezifisch – das heißt, er lässt keine Aussage darüber zu, ob ein akuter Atemwegsinfekt besteht, ein chronischer Zahnherd oder ob eine Autoimmunerkrankung dahintersteckt. Auch sehr große sportliche Belastungen führen zu Entzündungen – diese sind bis zu einem gewissen Grad auch erwünscht, führen sie nämlich zu einer Adaption an diese Reize. Ohne Entzündungen ist keine Heilung und auch kein Trainingseffekt möglich. Um einen sinnvollen Überblick über die allgemeine Gesundheit zu bekommen, sollte man das Blutbild nach einem Ruhetag oder maximal einem ruhigen Trainingstag und nicht während eines akuten Infektes machen lassen.

Ist man erholt und fühlt man sich gesund, so ist die Erwartungshaltung bei einem jungen, fitten Menschen (Alter ist ein Faktor für chronische Entzündungen), dass CRP kaum nachweisbar ist. Obwohl es in der grafischen Befundaufbereitung noch „harmlos“ aussieht, so ist das Erreichen von z.B. 1/5 des gewöhnlichen Referenzbereiches (<5mg/l, bzw. <0,5mg/dl) schon ein Zeichen dafür, dass „etwas nicht stimmt“ (beispielsweise kenne ich diese Bereiche von 1-1,5mg/l nur von akuten fiebrigen Infekten).
Obwohl noch im Referenzbereich, kann man diese sogenannte „Silent Inflammation“/“Stille Entzündungen“ bereits so interpretieren, dass man „etwas weniger gesund“ ist, auch wenn keine direkten Symptome auffällig sind.
(Österreichische Ärztezeitung 5/2023: https://aerztezeitung.at/2023/oaz-artikel/medizin/silent-inflammation...
und wer es ganz genau wissen will, kann sich den korrelierenden hsCRP  ansehen – hier ist die Auflösung im unteren Messbereich besser. Auch andere Laborparameter können bestimmt werden.  Als praktikabel hat sich aber der Standardparameter CRP, bei dem es kein Problem gibt, ihn bei jedem Blutbild auf Krankenkasse mit dabei zu haben, erwiesen. Details: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36136302/)

Ist CRP nachweisbar, gilt es, den Ursachen nachzugehen – in vielen Fällen lohnt sich schon der Gang zum Zahnarzt. Nicht wenige Sportler berichten, dass nach erfolgreicher Zahnsanierung der Körper auf einmal wieder viel besser auf Training anspricht. Chronische Entzündungen beschäftigen den Körper und kosten Ressourcen – für die Adaption an sportliche Belastungen, die Reparatur von Mikroschäden am Bewegungsapparat durch das Training, und das Immunsystem. Damit steigt auch die Anfälligkeit für Infekte und Verletzungen. Viele kennen das vielleicht, dass nach eigentlich harmlosen fiebrigen Infekten danach auf einmal alte Verletzungen wie aus dem Nichts auftauchen. Dies liegt am - wenn auch nur temporär - erhöhten Entzündungslevel im Körper.

Langfristig schreibt man diesen „stillen Entzündungen“ negative Effekte auf das Gefäßsystem und damit ein erhöhtes Risiko von Schlaganfällen, Herzinfarkten bis zum vorzeitigen Tod zu. Weiters werden Diabetes, Depressionen, Autoimmunerkrankungen, Krebs und Demenz begünstigt. Das Tragische – diese Krankheiten führen wiederum zu erhöhten Entzündungswerten!
Was man nicht ändern kann, ist das Älterwerden. Hier wird auch klar, warum man in jungen Jahren mit weitaus unvernünftigerem Lebensstil deutlich besser regenerieren konnte. Doch auch hier gibt es Ausnahmen – Menschen unter 40, die schon länger mit chronischen Entzündungen zu kämpfen haben und umgekehrt Menschen über 60, die das Blutbild eines fitten 20jährigen haben.

Das Gute ist allerdings, dass man auf viele Ursachen durch einen günstigen Lebensstil Einfluss nehmen kann. Dazu gehört Bewegung – wobei das beim ambitionierten Sportler inkludiert, besonders auf die so wichtige Regeneration zu achten. Der Körper kann relativ gut mit zyklisch (ansteigenden) Belastungen umgehen, unter Dauerstress kippt die Anpassung allerdings. (Hoch-)Leistungssport ist diesbezüglich nicht das Optimum, kann bis zu einem gewissen Grad aber durch andere positive Faktoren kompensiert werden. Sinnvolle Wettkampf- und Alltagsplanung ist hier ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.
Großen Einfluss nimmt auch die Ernährung – und hier vorwiegend das Verhältnis von Omega3- zu Omega6-Fettsäuren. Auch darauf bin ich schon in einem früheren Artikel eingegangen.
Weiters wichtig hinsichtlich Modulation von Entzündungen ist ein gesunder Vitamin-D-Spiegel - zumindest in Mitteleuropa ist dieser aber praktisch nicht ohne Substitution zu erreichen.
Ballaststoffreiche Ernährung und Polyphenole (bestimmte Pflanzenstoffe, hier besonders Kurkumin, aber auch der Konsum von Tee) haben ebenso positiven Einfluss, auch das von Sportlern in großem Maße benötigte Magnesium kann positive Effekte auf das Entzündungslevel haben. Wer eine noch ausführlichere Liste sucht, findet sie hier: https://www.lifeextension.com/protocols/health-concerns/chronic-inflammation)

Negativ wirken sich Suchtmittelkonsum (Rauchen, Alkohol!), starkes Übergewicht, aber auch viszerale Fettdepots (dicker Bauch bei ansonsten schlanker Statur), hormonelle Verhütungsmittel („Pille“), Schlafstörungen (Qualität, Dauer), aber auch Schwangerschaft und Menopause aus. Das heißt nicht, dass jeder dieser Risikofaktoren sofort zu chronischen Entzündungen führen muss, vieles kann der Körper auch kompensieren – aber nicht immer und nicht bei jedem.

Wer oft mit Magen/Darm Probleme hat und viele Lebensmittel nicht gut verträgt, sollte sich auch mit dem Leaky-Gut-Syndrom beschäftigen. Hier funktioniert die Darmwand nicht mehr in der Art und Weise wie sie sollte, Nährstoffe werden unzureichend aufgenommen, während Giftstoffe in die Blutbahn gelangen und hier ebenso Entzündungen befeuern. Für Sportler ist ein gutes Darm-Mikrobiom von zentraler Bedeutung - ist es doch essentiell für die Versorgung des Körpers im Training und Wettkampf und wichtiger Bestandteil des Immunsystems. Hier ist auch zu erwähnen, dass Bluttests auf Leaky-Gut-Syndrom durch extreme körperliche Betätigung positiv ausfallen können – was eventuell auf eine übermäßige Belastung des Darms durch den Stress beim Sport hinweisen kann. Fakt ist – wir belasten nicht nur den Bewegungsapparat, sondern unter anderem auch das Verdauungssystem bei sportlicher Ausbelastung sehr stark. Weiterführend: https://www.imd-berlin.de/spezielle-kompetenzen/leaky-gut...

Ein besonders starker Einfluss neben einer guten Versorgung mit Omega3-Fettsäuren ergibt sich (leider) durch Kalorienrestriktion und die daraus folgende katabole (=abbauende) Stoffwechsellage. (Details: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fnut.2021.709435/full)
Dies ist allerdings eine Vorgehensweise, die der sportlichen Leistungsentwicklung komplett widerspricht (und bei Übertreibung auch gefährliche Ausmaße annehmen kann, beispielsweise Anorexia athletica und andere Essstörungen). Hier gilt es, ein vernünftiges Maß zu finden und auch jahreszeitlich geplant unterschiedliche Zyklen einzubauen. Im Herbst/Winter eher anabol (=Masse aufbauend) zu arbeiten und dann im Frühjahr/Sommer minimal (!) katabol (=Masse abbauend) zu werden ist etwas, das für viele Ausdauersportler gut funktioniert und eben auch helfen kann, die Entzündungsprozesse auf einem gesunden Level zu halten.
Abgemildert kann dieser katabole Effekt vor allem durch ausreichend Eiweißzufuhr (im Ausdauersport 1,5-2g/Tag/kg Körpergewicht je nach Trainingspensum) werden – dies glättet auch Blutzuckerspitzen, was wiederum hinsichtlich Entzündungsminderung relevant ist.
Man darf aber beim Thema Kalorienrestriktion oder gar Fasten nicht vergessen, dass schon der (Ausdauer-)Sport an sich den Effekt der Autophagie (Zellerneuerung) mit sich bringt. Wir Sportler sind also auf die Maßnahmen im Ernährungsbereich oft viel weniger angewiesen als der Durchschnittsmensch. Auch der als entzündungsfördernd geltende Zucker wird bei uns rasch verstoffwechselt – zumindest, wenn er direkt im oder ums Training herum zugeführt wird (man denke hier an das sogenannte "anabole Fenster" direkt nach dem Sport - leicht verfügbare Kohlenhydrate führen hier zu einer Insulinausschüttung, die besonders günstig auf die Regeneration und anabol wirkt, den Stress durch Sport senkt). Abseits vom Training ist zumindest bei bereits bestehenden chronischen Entzündungen eine Ernährung mit weniger leicht verfügbaren Kohlenhydraten, bzw. die sinnvolle Kombination mit Eiweiß und Fetten ratsam, um den Blutzuckerspiegel nicht zu stark schwanken zu lassen. Den "Langzeitzucker" (Hba1c) zu checken, um Prädiabetes erkennen zu können, bevor sich Symptome zeigen, ist hier auf alle Fälle sinnvoll.

Auch das Hormon Cortisol spielt hier mit hinein. Es hat als „Stresshormon“ ein negatives Image, biologisch macht es aber natürlich Sinn. Es wirkt an sich antientzündlich, allerdings bedeutet das auch, dass notwendige Reparaturen von geschädigtem Gewebe nicht oder nur zeitlich verzögert erfolgen.
Die Natur hat tages-, wochen-, monats- und jahreszeitliche Schwankungen vorgesehen und kein „Dauerbrennen“. Darüber hinaus war vorgesehen, dass wir uns direkt bei/nach einer Stressituation intensiv bewegen (Kampf, Flucht) und damit unser vegetatives Nervensystem auch wieder ins Lot bringen. Heute haben wir Stress oft während wir sitzen - dies sollte unbedingt durch Bewegung im Alltag kompensiert werden.
Genauso, wie die Insulinsensitivität der Zellen sinkt (wir also noch mehr Insulin für denselben Effekt, nämlich die Aufnahme von Zucker, brauchen und unsere Bauchspeichendrüse irgendwann nicht mehr mithalten kann), wenn wir dauerhaft zuviel leicht verfügbare Kohlenhydrate zuführen, so passiert dies beim Cortisol. Der (unter anderem entzündungsmindernde) Effekt des Hormons ebbt ab während die Nebennieren, die für dessen Produktion zuständig sind, „erschöpfen“.
Die Messung des Cortisolwertes im Blut ist also in ihrer Aussagekraft nicht zu überschätzen. Wir brauchen Cortisol, um in der Früh in die Gänge zu kommen und herausfordernde Aufgaben zu meistern. Wichtig ist aber ein angemessener zyklischer Verlauf, also dass es immer wieder über den Tag auch zu niedrigen Cortisolspiegeln im Blut kommt, der Körper runterfahren, entspannen kann.
Prinzipiell hilft regelmäßiges Training auch, den Cortisolspiegel zu kontrollieren. Dies gilt aber nicht unter der Annahme, dass damit noch zusätzlicher Termin- und starker körperlicher Stress durch sehr hoch gesteckte Ziele entsteht. Hier muss wiederum der Faktor Regeneration noch mehr als sonst in den Vordergrund gerückt werden.
Besonders sehr lange Trainingseinheiten (3h+) führen zu einer extrem hohen Cortisolausschüttung, die danach sozusagen "wegregeneriert" werden muss. Verstärkt wird dieser Effekt, wenn diese Trainings auch noch unter Kalorienmangel stattfinden oder gar ein "Hungerast" entsteht. Dies kostet besonders viel Substanz.
Kürzere Ausdauertrainings, auch Intervalle und Krafttraining sind hinsichtlich Cortisol günstiger. Besonders Sprints und Maximalkrafttraining mit längeren Pausen triggern darüber hinaus den Testosteronspiegel - dieser leidet nämlich besonders unter (dauerhaft) hohen Cortisolwerten, was sowohl bei Männern als auch bei Frauen zu Problemen führt.
Autogenes Training/progressive Muskelentspannung oder die Kombination mit ruhigem Dehnen/Atemübungen/Yoga können auch sehr hilfreich sein, das vegetative Nervensystem ins Lot zu bringen. Und nicht zuletzt: Vermeidbare Stressoren vermeiden und mit unvermeidbaren Stressoren umgehen lernen (gern auch im Rahmen einer psychotherapeutischen Beratung).
Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel führt zu einigen Effekten, die insbesondere der Sportler so gar nicht gebrauchen kann: Verminderte Regeneration und damit schlechter Trainingseffekt, Vergrößerung der Fettdepots – oft direkt als Bauchfett, Muskel- und Knochenabbau, Unterdrückung der Immunfunktion, Insulinresistenz, Verringerung von Testosteron und Östrogen (=Zyklusstörungen bei der Frau), Verlust von Elektrolyten, negative mentale Effekte.
Hier muss aber wirklich betont werden, dass es um das Übermaß von Cortisol geht – haben wir zu wenig davon (wie es etwa bei Long Covid vorliegen kann), geht es uns ebenso miserabel.

Aufgrund all dieser Freiheitsgrade ist es also durchaus sinnvoll, einmal sein eigenes Entzündungslevel zu kennen und dann entsprechend darauf zu reagieren. Sehr junge Menschen haben, insbesondere wenn sie Sport treiben, damit oft überhaupt kein Thema, selbst wenn die Ernährung nicht immer ideal ist. Je älter wir werden, desto empfindlicher wird auch unser Körper und wir müssen diesen ganzen „Feinheiten“ bei der Lebensführung mehr Beachtung schenken, um mit guter Lebensqualität und Gesundheit unsere Leistungsfähigkeit zu erhalten und im Idealfall sogar weiter auszubauen. Hier würde ich eben bei immer wieder nachweisbarem CRP im Blut durchaus eine Omega-3-Supplementierung ins Auge fassen und auch VitaminD sowie Magnesium ins Lot bringen.

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